Zurzeit leben rund 12.400 Personen über 50 Jahren mit gleichgeschlechtlicher Orientierung in Düsseldorf. Darüber hinaus eine unbekannte Anzahl von Trans*- und Inter*-Personen. Viele Ältere von ihnen haben Erfahrungen der Ausgrenzung, Diskriminierung, Stigmatisierung, Kriminalisierung und Gewalt gemacht. Um das zu ändern, gibt es die Fachstelle “Altern unterm Regenbogen”.
Die Fachstelle versteht sich als Interessenvertretung für die Belange und Bedarfe von LSBTI* ab 55 Jahren und macht es sich zur Aufgabe, diese zu vernetzen und zu stärken. So finden Informationsveranstaltungen rund um die Themen Alter, Wohnen, Gesundheit statt sowie Beratung bei Fragen zu Hilfe- und Pflegebedürftigkeit im Kontext geschlechtlicher Diversität. Zugleich werden auch Angebote geschaffen, die für alle Personen ab 55 Jahren offen sind. Außerdem ist die Fachstelle Ansprechpartner in Bezug auf das Thema geschlechtliche und sexuelle Diversität für Fachkräfte aus der Senior*innenarbeit und Altenpflege in Düsseldorf.
Wir haben mit der Fachreferentin Dr. Inka Wilhelm und Eva Bujny von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf über ihre Arbeit gesprochen.
Frau Bujny, Sie arbeiten fast seit Gründung in der Frauenberatungsstelle Düsseldorf. Die gibt es seit über 30 Jahren und ist ein Träger der Fachstelle “Altern unterm Regenbogen”. Welche Rolle spielen Ihre Erfahrung und Ihre Kompetenz?
Eva Bujny: Wir haben viel Expertise zu dem Thema aufgebaut, seit Mitte der 90er Jahre arbeiten wir in politischen Zusammenhängen, wenn es um die Vernetzung von Lesben, Schwulen und jetzt Trans geht und leisten viel Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit. Unser Ziel ist es, die Frauen nicht nur zu beraten, sondern wir wollen auch die psychosozialen und politischen Bedingungen von Frauen in unserer Gesellschaft positiv verändern, indem wir unsere Interessen in der Öffentlichkeit vertreten und Workshops und Veranstaltungen durchführen.
Frau Wilhelm, seit wann gibt es die Fachstelle und wie kam es zur Gründung?
Inka Wilhelm: Ich bin seit 1. März für die Fachstelle “Altern unterm Regenbogen” zuständig, die als erste Fachstelle für LSBTI* (Abkürzung für L esbisch, S chwul, B isexuell, T rans*,I nter*, die Red.) ab 55 Jahren im Alter zuständig ist. Es geht nicht nur um die sexuelle Orientierung. Also um lesbisch und schwul oder bisexuell, sondern auch um die geschlechtliche Identität. Also die Ansprache von trans-, intergeschlechtlichen (als Inter*/Intergeschlechtlich werden Menschen verstanden, deren angeborenen genetischen, hormonellen oder körperlichen Merkmale weder ausschließlich ‚männlich‘ noch ausschließlich ‚weiblich‘ sind, die Red.) und nicht binären Personen (nicht-binäre Personen identifizieren sich weder als Frau noch als Mann. Binär steht dabei für das in unserer Gesellschaft anerkannte System aus zwei Geschlechtern, die Red.)
Die Frauenberatungsstelle, die AWO und die Aidshilfe haben sich zusammengetan und gemeinsam eine Idee entwickelt. Der Bedarf ist da und wir sehen, wir müssen etwas tun und bringen nun die Fachstelle im Trägerverbund auf den Weg.
Eva Bujny: In Bezug auf das Thema LSBTI* ab 55 Jahren ist das bundesweit ein ganz großer neuer Aufschlag, dass drei Institutionen, die völlig unterschiedliche Organisationsstrukturen haben, versuchen, etwas gemeinsam zu bewegen. Das ist sehr ambitioniert, aber es klappt hervorragend mit den engagierten Kollegen und Kolleginnen. Wir haben einen Lenkungskreis der obersten Ebene und dann die Fachstellenmitarbeiter*innen, die gut vernetzt miteinander arbeiten, damit wir möglichst schnell effektiv und erfolgreich sein können.
Woran machen Sie das fest, dass Sie schnell, effektiv und erfolgreich sein können?
Eva Bujny: Was unser großes Pfund in der Frauenberatungsstelle ist, dass wir die Kontakte zur Basis haben. Ich habe mit der Fachstelle Lesben beraten Lesben schon vor 15 Jahren versucht das Thema zu platzieren, habe aber gemerkt, dass ich das alleine nicht schaffe. Und habe vor allem in den letzten zehn Jahren hier in der Kommune sehr viel politische Arbeit geleistet mit viel Erfolg: Wir haben eine Diversity Beauftragte, wir haben eine Beratungsstelle für Transmenschen und ein LSBTI* Jugendzentrum erkämpft. Wir haben also wichtige Signale von oben, dass wir akzeptiert und gefragt sind, womit wir unsere Forderungen besser platzieren und ausbauen können.
Was sind denn Ihre Forderungen?
Eva Bujny: Ich spreche jetzt vor allem aus meinem Fachbereich für lesbische Frauen: Ich möchte, dass Lesben in ihrem Sein überall automatisch politisch mitgedacht werden, also ihre Lebensform, ihre Identität deutlich dargestellt wird, dass sie sichtbar sein dürfen, dass sie sich überall outen können.
Inka Wilhelm: In dem Moment, wo das gesamte LSBTI* Spektrum in allen gesellschaftlichen Ebenen mitbetrachtet wird, dann sind wir überflüssig, dann ist unsere Arbeit getan. In dem Moment, wo ich arbeitslos werde, weil ich nicht mehr gebraucht werde, dann haben wir unsere Ziele erreicht.
Was muss bis dahin noch passieren? Was tun Sie dafür ganz konkret?
Inka Wilhelm: Wir erfahren viel Unterstützung auf kommunaler Ebene, aber natürlich haben wir noch dicke Bretter zu bohren. Und wir sind gerade erst dabei, Strukturen aufzubauen. Auch wenn es in den einzelnen Bereichen vieles gibt, an dass wir anknüpfen können. Parallel versuchen wir ganz konkret Angebote zu schaffen, um die LSBTI* Community ab 55 Jahre stärker zu vernetzen und zu stärken. D.h. wir suchen den Kontakt zur Community und fragen nach, was braucht ihr, um gut in Düsseldorf zu altern. Aus diesen Bedarfen heraus versuchen wir gute Angebote zu schaffen. Beispielsweise ganz konkret eine Veranstaltung zum Thema „Ältere Lesben zwischen Hilfebedürfnis und Autonomie“. Momentan plane ich ein generationsübergreifendes Kochprojekt mit dem LSBTI* Jugendzentrum PULS. Es sind also ganz unterschiedliche Dinge, die wir versuchen gleichzeitig umzusetzen. Das ist eine Herausforderung, aber es macht auch wahnsinnig viel Spaß.
Vor welchen besonderen Herausforderungen steht die LSBTI* Community, wenn es ums Älterwerden geht?
Eva Brujny: Was ist anders an Lesben? Aus ihrer Sicht ist es ihre individuelle Entwicklung, die sie unterscheidet. Die jetzt in die Jahre gekommen sind, haben zum Beispiel keine Kinder oder keinen Kontakt zur Herkunftsfamilie. Erlebten vielleicht sogar, dass ihnen das Sorgerecht für die Kinder aus heterosexuellen Beziehungen entzogen wurde. Eine ganz wichtige Aufgabe ist es, Möglichkeiten zu finden, wie sich die älteren Lesben finanzieren können. Viele haben politische anstelle von Lohnarbeit gemacht. Sie sind oft deswegen in der Altersarmut. Oder aber waren alleinerziehend waren und haben keine Unterstützung von den Herkunftsfamilien erhalten. Durch diese schweren Geschichten haben einige auch psychische Beeinträchtigungen.
Das Thema Einsamkeit im Alter macht es auch noch schwerer. Zudem ist es so, dass es aufgrund der Diskriminierungserfahrungen häufig schwer für lesbische Frauen und LSBTI* insgesamt ist, sich in den Einrichtungen für ältere Menschen zu outen. Das macht natürlich etwas aus, wenn ich von dem wichtigsten und intimsten Bereich meines Selbst, dem Begehren von Frauen, nicht erzählen darf, ohne auf Ablehnung zu stoßen.
Inka Wilhelm: Das kann ich auch für die LSBTI* Community sagen. Die Angst vor Diskriminierung in Altenpflegeinrichtungen ist weit verbreitet, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass sie nicht akzeptiert sind und so sein können wie sie sind. Wenn Sie beispielsweise einen homosexuellen Mann haben, der Angst haben musste, dass er nach dem Paragrafen 175, der bis 1994 noch bestand, verurteilt zu werden und mit seinen Altersgenoss*innen, die ihn damals hätten auch anzeigen können in einer Einrichtung lebt, dann ist da immer noch die Angst vor Diskriminierung da.
Eine andere Angst ist die der extremen Abhängigkeitssituation, in der Hilfebedürftigkeit vom Pflegepersonal nicht in seinem Sosein respektiert zu werden. Diese beiden Punkte spielen eine wichtige Rolle. Mir ist es immer wichtig zu betonen, dass jeder Mensch anders altert. Aber die Menschen aus der LSBTI* Community machen die Erfahrungen, dass sie als anders wahrgenommen werden, da durch den vorherrschenden heteronormativen Blick auf sie geschaut wird. Dadurch entsteht auch das Gefühl, dass das Altern ein anderes ist. Auf der anderen Seite passiert auch schon sehr viel. Es gibt Pflegeeinrichtungen, ambulante Dienste und offene Angebote, die sich zu dem Thema auf den Weg machen. Es findet langsam ein Umdenken statt und es ist toll zu merken, dass wir nicht allein sind.
Eva Bujny: Deshalb ist eine Aufgabe der Fachstelle, bei den Fachkräften in der Pflege und der offenen Senior*innenarbeit in Düsseldorf ein Verständnis dafür zu schaffen, wen sie da vor sich haben. Und auch die politischen Gremien wie den Seniorenbeirat zu sensibilisieren, dass sie auch diese Themen mit auf dem Schirm haben. Dabei geht es auch um eine gesellschaftliche Positionierung. Wir lesbischen Frauen und auch die LSBTI* Community möchten an den gesellschaftlichen Prozessen teilhaben. Das ist unser Gesamtpaket, an dem wir arbeiten. Unser Ziel ist es, dass aus den kleinen Projekten und Inseln, die es ja schon gibt, Festland wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Weitere Informationen und Kontakt:
Dr. Inka Wilhelm
Fachstelle ALTERN UNTERM REGENBOGEN7Frauenberatungsstelle düsseldorf e.V.
Tel.: 0157-71552064
E-Mail: inka.wilhelm@frauenberatungsstelle.de
Träger der Fachstelle sind die Aidshilfe Düsseldorf e.V., die Frauenberatungsstelle Düsseldorf e.V. und Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Düsseldorf e.V. Das Angebot ist von der Stadt Düsseldorf finanziert.