Jeweils am zweiten Sonntag im Mai werden sie beglückt. Sie müssen weder kochen noch putzen, werden mit Blumensträußen und selbst gebastelten Geschenke bedacht, respektvoll behandelt und verehrt von Kindern, die über das restliche Jahr hinweg ihren elterlichen Einsatz als Selbstverständlichkeit hinnehmen: Die Mütter.
Tradition oder antiquiert?
Aber ist diese Tradition, den Müttern an ihrem großen Tag alles aus den Händen zu nehmen, nicht eine veraltete Benimmregel von anno dazumal? Ist sie nicht Ausdruck einer strikt Geschlechterrollen-beeinflussten Auffassung, die die Frau an den Herd stellt und den Mann auf dem Sofa vorm Fernseher verortet? Inzwischen erledigen auch Männer Hausarbeiten und kümmern sich um Küche, Kind und Kegel.
Ist die hingebungsvolle Verehrung der Mutter nicht auch eine Diskriminierung des sich kümmernden Hausmannes im Erziehungsurlaub, dem der Genuss einer solchen Tradition verwehrt bleibt? Und ist sie nicht auch eine Diskriminierung der Charakterfrau? Drücken wir ihr nicht, indem wir sie so demonstrativ von Putzlappen, Staubsauger, Spülmaschine und Co fernhalten, erst recht den häuslichen Klischeestempel auf?
Anfang des 20. Jahrhunderts war das keine Frage. Damals schloss sich in den USA eine Gruppe von Frauen zusammen, um aktuelle Fragen unter Müttern zu diskutieren. An ihrer Spitze stand Ann Marie Jarvis. Sie organisierte diese sogenannten „Mothers’s Friendship Days“ (Mütter-Freundschaftstage). Als ihre Mutter schließlich eines Tages starb, verteilte sie in der Kirche Nelken – fünfhundert weiße für die verstorbenen und fünfhundert rote für die lebenden Mütter.
Das war am zweiten Sonntag im Mai 1907. In den Folgejahren drängte Ann in der Kirche darauf, in jedem Gottesdienst des zweiten Mai-Sonntages eine Andacht zu Ehren aller Mütter abzuhalten. So etablierte sich der Muttertag als offizieller Feiertag in den USA.
Die Kommerzialisierung des Muttertags
Die Begründerin bemängelte jedoch schon nach einigen Jahren die zunehmende Kommerzialisierung des Ehrentages der Mütter und setzte sich daraufhin für die Abschaffung des Feiertages ein – erfolglos wie wir heute wissen. Der Muttertag hat sich kulturell fest etabliert, zuweilen möchte man sagen, es hat sich doch ein regelrechter Muttertagskult entwickelt, der einhergeht mit Kommerz, Werbung und Eintags-Fürsorge.
Rücken wir den Muttertag wieder ins rechte Licht, und geben ihm die Bedeutung, die Ann Marie Jarvis ihm zugedachte: Der Muttertag sollte ein Tag sein, an dem man sich ins Gedächtnis ruft, wie wertvoll es ist, mütterliche Fürsorge erfahren zu haben. Es sollte ein Tag sein, an dem wir unserer Mutter eine Extraportion Wertschätzung zukommen lassen. Und versuchen wir doch, die Väter ein bisschen miteinzubeziehen – ohne sie würden wir nicht existieren.