Der Benediktinerpater Anselm Grün ist einer der meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart, der mit seinen Büchern und Schriften über Spiritualität Alltagsfragen und Lebenskunst Millionen von Menschen erreicht. Auch als Referent oder in seinen Videoseminaren sucht er den direkten Kontakt mit den Menschen, ihren Sorgen und Bedürfnissen.
Grüß Gott Pater Anselm Grün, das aktuelle Thema Ihres Videoseminars auf der Plattform www.sinnsucher.de lautet „Für sich und andere sorgen“. Warum gerade das Thema?
Ausgehend vom typisch amerikanischen Slogan „Sorge dich nicht, lebe“ geht es darum, überhaupt über die Sorge nachzudenken. Es gibt einmal die ängstliche Sorge und es gibt die Fürsorge, ohne die wir nicht leben können. Es geht auch um die Frage, wie ich die ängstliche Sorge in eine liebende umwandeln kann. Und darum, wenn ich für andere sorge, ob für die Kinder oder die Eltern, dass ich auch gut für mich selbst sorgen muss. Es muss ein gutes Gleichgewicht sein zwischen der Sorge für sich selbst und andere.
Was erfahren die Teilnehmer konkret bei Ihrem Videoseminar?
Dass sie auf ihre eigene Gefühle hören sollen. Wenn ich spüre, dass die Sorge für andere auch mir guttut, dann spüre ich das Leben, weil ich innerlich glücklich bin und das Leben fließt. Wenn aber Gefühle da sind, wie sich ausgenutzt fühlen, Arger oder Gereiztheit, dann ist das ein Impuls für mich selbst gut zu sorgen, sonst wird meine Sorge mich immer aggressiver und unzufriedener machen.
Das heißt, die Teilnehmer können Ihrem Vortrag zuhören und lernen Übungen, mit denen sie diesen Prozess begleiten können?
Die Übungen sind Rituale, die dabei helfen, mit sich selbst in Berührung und in die eigene Mitte zu kommen. Das ist wichtig, wenn ich für andere sorge, dass ich mich selbst spüre. Rituale schaffen eine heilige Zeit. Eine heilige Zeit ist die Zeit, die nur mir gehört und die herausgenommen ist aus den Ansprüchen der Anderen. Und es ist ganz wichtig, das Gefühl zu haben, selbst zu leben, anstatt gelebt zu werden.
Sie unterstützen die Menschen mit Ihren Büchern und in Ihren Vorträgen auch dabei, mit Krisen umzugehen. Haben Sie den Eindruck, dass unsere Zeit die Menschen besonders herausfordert?
Natürlich, das Leben ist nicht mehr so stabil. Es ist durch viele äußere und innere Krisen geprägt. Viele Menschen spüren, dass ihre Seele nicht mehr so stabil ist. Es gibt Krisen bei der Arbeit, Krisen in der Partnerschaft oder in den Familien. Die Menschen sind verunsichert und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Ich habe keine Patentrezepte, sondern sage, es ist wichtig, auf sich selbst zu hören. Für mich ist wichtig, dass die Menschen auf die Weisheit ihrer eigenen Seele hören und sich nicht abhängig machen von äußeren Ratschlägen.
Es geht um die Frage des Glücklichseins und in seiner Mitte anzukommen. Was ist für Sie Glück?
Glück heißt einmal, im Einklang mit sich selbst zu sein, sowie das Gefühl, dass mein Leben Frucht bringt für andere. Und wenn es Frucht bringt, bin ich dafür dankbar. Ich bin vorsichtig, von Glück zu sprechen. Ich würde eher von Dankbarkeit sprechen. Es gibt ja den Spruch, ich bin nicht dankbar, weil ich glücklich bin, sondern ich bin glücklich, weil ich dankbar bin. Zur Dankbarkeit gehört, was Gott mir geschenkt hat, meine Gesundheit, meine Freunde, die Familie usw. Dankbarkeit verwandelt auch mein Gefühl für Glück, wozu das Fließen gehört, das Fließen des Lebens. Wer das Glück nur besitzen will, an dem geht’s vorbei.
Dieses Fließen, wie kann ich das herstellen? Das ist wahrscheinlich die Kunst des Lebens …
Ein anderes Wort für Fließen ist Hingabe. Wenn ich hingebungsvoll arbeite, wenn ich mich ganz einlasse auf ein Gespräch – das ist das, was Jesus sagt, Freisein vom eigenen Ich – und mich ganz auf den Augenblick einlasse und beim anderen bin, dann habe ich das Gefühl, das Leben fließt. Dann ist es gut so.
Sie sind gerade auch in Asien ein bekannter und gefragter Autor und Referent. Was unterscheidet den asiatischen Kulturkreis beim Älterwerden oder bei der Reise des Lebens im Vergleich zu Europa?
Für die Asiaten sind die Beziehungen ganz wichtig, auch die Familie. Es gibt dort wenige Pflegeheime, sondern dort versucht die Familie präsent zu sein und für die alten Menschen zu sorgen. Die Beziehungsebene ist wesentlich wichtiger als bei uns in Deutschland, wo die Gesellschaft sehr individualisiert worden ist.
Was würden Sie sagen, sind die drängendsten Fragen der Menschen, die zu Ihnen kommen und Unterstützung suchen?
Die wichtigsten Fragen sind: Wie gehe ich mit dem Druck von außen um? Viele haben Angst, dem Druck nicht standzuhalten. Sie sorgen sich um ihre Zukunft, ob sie ihr Leben schaffen. Andere Sorgen sind die Beziehungen zu den Kindern, den Enkeln usw. Natürlich auch die Angst: Wie werde ich im Alter leben? Werde ich pflegebedürftig sein? Wie gehe ich damit um? Angst ist ein wichtiges Thema und dass man sich Sorgen macht um seine Zukunft.
Wie kann ich gut für mich sorgen, also nicht nur finanziell, sondern auch, dass ich gut alt werde, indem ich in Berührung mit mir selber bin. Vielen Älteren geht es nicht gut, weil sie ganz in der Arbeit aufgegangen sind, sich definiert haben in ihrer Rolle und zu wenig bei sich selber waren. Fürs gute Altwerden muss man sich spüren, mit sich selbst in Berührung sein.
Sie selbst sind 74 Jahre alt. Sie haben über 300 Bücher geschrieben, Sie halten als Referent ungefähr 200 Vorträge im Jahr im In- und Ausland. Wie schaffen Sie das?
Erst mal, indem ich eins nach dem anderen mache. Ich setze mich nicht unter Druck, sondern lass’ mich ein auf das, was ich gerade tue. Schreiben ist für mich keine Arbeit, das macht einfach Spaß und ist immer eine Zeit, wo sich für mich etwas klärt. Gestern habe ich einen Vortrag in Thüringen in der Nähe von Schleitz gehalten und die Leute waren sehr dankbar. Die Kirche war seit zwei Wochen ausverkauft. Das war für die Menschen ganz neu, weil es im Osten nicht so viel kirchliches Leben gibt. Es gibt ja auch Energie, wenn man spürt, dass das, was ich sage, bei den Menschen ankommt. Eine geistige Quelle ist der Heilige Geist, das ist eine innere Quelle, aus der ich schöpfen kann.
Sie benutzen intensiv die sozialen Medien. Die Menschen können Sie direkt anschreiben, wenn sie Kontakt suchen. Wie bringen Sie das in Einklang mit Ihrem Leben als Mönch?
Die sozialen Medien bediene ich höchstens eine halbe Stunde am Tag, am Vormittag während meiner Arbeitszeit. Am Abend in meiner Klosterzelle habe ich keine sozialen Medien und beantworte ich keine E-Mails. Da bin ich geschützt. Wenn ich abends einen Vortrag habe, komme ich nachts wieder zurück. Heute Nacht bin ich um zwölf Uhr heimgekommen und um sechs Uhr stehe ich wieder auf, damit ich um halb sieben beim Gottesdienst dabei sein kann. Das ist für mich ganz wichtig. Ich sorge gut auch für mich selber. Gerade wenn man viel arbeitet, ist es gut, für sich selber zu sorgen. Ich fühle mich nie gestresst. Gut, manchmal ist der Verkehr nervig, ich fahre ja selber mit dem Auto nachts wieder zurück.
Sie sind offen für viele Themen, wie zum Beispiel die Psychologie oder asiatische Meditationstechniken, die Sie aufnehmen in Ihre persönliche Lehre. Würden Sie sich als einen modernen Mönch bezeichnen?
Nicht unbedingt, eher als einen offenen Mönch. Modern ist, als würde ich mich anpassen. In meiner Sprache passe ich mich nicht an, aber ich bin offen und ich versuche natürlich im Gespräch zu sein mit den Menschen und auf ihre Sehnsüchte zu hören. Insofern bin ich in Berührung mit dem modernen Menschen. Modern ist aber mehr ein Schlagwort.
Es ist mir wichtig, auf die Menschen zu hören und ihnen nicht als der Besserwisser Ratschläge zu geben, sondern zu ergründen, wie ich selber in der Situation damit umgehen würde. Es ist wichtig, am Puls der Zeit zu sein. Und der Dialog mit der Theologie war immer der Dialog mit der Philosophie und heute ist die Psychologie ein wichtiger Teil auch der Philosophie. Geistiges Leben hat immer auch mit der Psyche des Menschen zu tun und mit der Frage, was ist gesund machend am Glauben? Es gibt aber auch Formen des Glaubens, die krankmachen und die Menschen ängstigen. Ich trete für einen Glauben ein, wo ich meine ganze Wirklichkeit anschauen kann und diese in Beziehung zu Gott bringe.
Bei dem Vortrag gestern in Ostdeutschland, waren dort mehr ältere oder junge Menschen?
Sowohl als auch. Die jungen Menschen beschäftigte das Thema Angst und Unsicherheit. Was soll ich tun? Was gibt meinem Leben Sinn? Wo finde ich mich selber in den vielen Angeboten, aus denen ich wählen kann? Heute ist das Thema Veränderung sehr wichtig. Die Menschen setzen sich selbst unter Druck, sich ständig zu verändern. Die Psychologie spricht vom erschöpften Selbst. Viele Menschen sind vor lauter Selbstoptimierung erschöpft.
Die christliche Antwort ist Wandel und nicht Veränderung. Veränderung ist etwas Aggressives, ich muss ein anderer Mensch werden. Beim Wandel dagegen darf alles sein, ist es gut so, wie es ist, aber ich bin noch nicht die oder der, der ich von meinem Wesen her sein könnte. Verwandlung ist mehr, man selbst zu werden. Das sind wichtige Fragen auch für Jugendliche.
Sie haben schon so viel erlebt und viele Verwandlungen durchgemacht. Wohin wird Sie Ihre Reise noch bringen? Haben Sie da für sich selber eine Vorstellung?
Für mich ist wichtig im Alter – ich weiß ja nicht, wie lange ich lebe – dass ich einfach durchlässig bin für Gott und für den Geist Jesu und mein Ego zurücknehme und offen bin für das, was Gott von mir will. Da höre ich auf beide, die Sehnsüchte der Menschen, aber auch indem ich meditiere, was Gott von mir will. Und irgendwann wird es vielleicht auch Zeit aufzuhören mit den äußeren Dingen, aber das werde ich tun, solange es mir Spaß macht und das Gefühl stimmt. Ich möchte da sensibel bleiben und nicht den Zeitpunkt verpassen, um loszulassen.
Was möchten Sie den Lesern von 59plus zum Abschluss noch mitgeben?
Gerade den älteren Menschen möchte ich mitgeben, dass sie keine Angst vor dem Alter zu haben brauchen. Wir sind ja jetzt im Herbst und gerade im Herbst ist die Zeit der Ernte. Jeder Mensch kann im Alter schauen, was durch ihn gewachsen ist und andere nährt. Und der Herbst ist die Zeit der milden Farben. Die Blätter und die Herbstsonne haben eine milde Farbe. Das ist auch wichtig, die Altersmilde und die Altersweisheit: Werde gerne älter und schaue auf die eigenen Chancen. Es geht darum, zum Segen für andere zu werden.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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