Die meist befahrene künstliche Wasserstraße der Welt ist nicht etwa der Panama- oder Suezkanal, sondern der Nord-Ostsee-Kanal. Er verläuft auf knapp 100 Kilometern Länge von Brunsbüttel bis zur Kieler Förde. Wir erzählen die Geschichte des gigantischen Bauvorhabens, das am 21. Juni 1895 eröffnet wurde.
Ende des 19. Jahrhunderts war der Nord-Ostsee-Kanal das wichtigste Bauprojekt des deutschen Kaiserreichs. Die Abkürzung über das Wasser sollte die Möglichkeit schaffen, die Kriegsmarine schnell zwischen Nord- und Ostsee zu verlegen. Bis zu 9.000 Arbeiter gruben den Wasserweg zwischen Brunsbüttel an der Elbmündung und der Kieler Förde. Inklusive Schleusen, Brücken und Fähren kostete er 156 Millionen Reichsmark, nach heutiger Währung etwa 1,5 Milliarden Euro.
Nord-Ostsee-Kanal für militärische Zwecke
Der direkte Vorläufer des Nord-Ostsee-Kanals war der Eiderkanal, den der dänische König Christian VII. von 1777 bis 1784 errichten ließ. Er begann in Kiel und mündete bei Rendsburg in die Eider, die bei Tönning die Nordsee erreicht. Allerdings dauerte die Fahrt noch drei bis vier Tage. Zu Beginn des Deutsch-Dänischen Krieges erteilte 1864 der preußische Kanzler Otto von Bismarck den Auftrag, Ermittlungen über eine Verbindung zwischen Nord- und Ostsee anzustellen, „welche alle Kriegs- Handels- und Dampfschiffe gut passieren können“. Der deutschen Flotte sollte die Möglichkeit gegeben werden, „jederzeit von der Ostsee in die Nordsee zu gelangen, ohne unter dänischen Kanonen passieren zu müssen“. Damit wurde der zunächst vorrangig militärisch-strategische Charakter des Kanalprojekts deutlich angesprochen.
Bismarck überzeugte Kaiser Wilhelm I.
Gegen den Widerstand deutscher Generäle gelang es Bismarck, Kaiser Wilhelm I. für den Kanalbau zu gewinnen. 1883 erließ der Kaiser den Auftrag, Beratungen über einen Bau des Kanals anzustellen, und zwar ausdrücklich „mit den für die Flotte notwendigen Ausmaßen“. 1886 billigte der Reichstag ein Gesetz zum Bau des Nord-Ostsee-Kanals und am 3. Juni 1887 erfolgte die Grundsteinlegung in Kiel-Holtenau. Bis zu 8900 Arbeiter bewegten circa 80 Mio. Kubikmeter Erdreich. Der Kanal war in dieser ersten Ausbaustufe 67 Meter breit und 9 Meter tief. Ein dreitägiges millionenschweres Fest auf Staatskosten war dem jungen Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1895 die Eröffnung des Nord-Ostsee-Kanals wert.
Große Bedeutung für den Welthandel
Durch die technische Fortentwicklung und die Einführung von Großkampfschiffen zeigte sich bald, dass die Wasserstraße zu klein wurde und noch einmal erweitert werden musste. Von 1907 bis 1914 wurde der Kanal das erste Mal ausgebaut und erhielt eine Breite von 102,5 Metern und eine Tiefe von elf Metern. Neue Brücken kamen hinzu. Der militärische Nutzen des Kanals blieb beschränkt, doch für den Welthandel spielt er heute eine umso größere Rolle. Mit circa 35.000 Passagen ist der Nord-Ostsee-Kanal die meist befahrene künstliche Wasserstraße der Welt, weit vor dem Suez- oder dem Panama-Kanal. Besonders für den Hamburger Hafen ist die Wasserstraße lebenswichtig: Jeder dritte Container, der Hamburg erreicht, fährt anschließend mit kleineren “Feederschiffen” durch den Kanal in Richtung Osten.