Ende letzten Jahres rief mich ein Kunde ungefähr drei Monate nach meiner Erstberatung an. „Jetzt bin ich soweit, ich brauche Sie. Ich habe mich entschieden, ich ziehe in eine Residenz nach Hamburg und möchte das Haus verkaufen.“ Ich habe mich sehr mit ihm gefreut. Die Aufregung und auch ein Stück weit die Erleichterung darüber, eine Entscheidung getroffen zu haben, war ihm deutlich anzumerken. Ich habe ihm zu dem Mut und der Entscheidung gratuliert.
Die Entscheidung
Zurzeit organisiere ich mit ihm zusammen den Umzug, die Haushaltsauflösung und den Verkauf des großen Hauses. Letzte Woche feierte er seinen 85. Geburtstag und startete seine Abschiedstour, wie er es selbst nannte. Er nahm den Geburtstag zum Anlass, Verwandte und Freunde noch einmal einzuladen. Bei unseren Gesprächen berichtete er mir, wie sein Umfeld sich wunderte, dass er den Abschied so gelassen zelebriert. Ob er denn gar nicht traurig sei und wehmütig, sein Zuhause und alles Vertraute aufgeben zu müssen, würde er immer wieder gefragt.
Nach dem Tod seiner Frau im letzten Jahr musste er seinen Lebensplan noch einmal neu überdenken. Eigentlich war angedacht, im Pflegefall eine 24-Stunden Kraft zu beschäftigen und im eigenen Haus wohnen zu bleiben. Es kam dann doch anders. Heute sieht er sehr klar die Gefahr der Vereinsamung, das Alleinsein mit den Erinnerungen im leeren Haus und auf der anderen Seite die Chance eines Neustarts in der Seniorenresidenz.
Das Einfamilienhaus
Es gibt aber auch die anderen Fälle, wo es leider nicht so glatt läuft und die Veränderungen nicht so positiv angegangen werden. Eine Nachbarin, die ebenfalls in meiner Beratung war, lebt auch ganz alleine in einem großen Einfamilienhaus. Ich habe ihr immer wieder meine weitere Unterstützung angeboten, da ich mit meinem Fachverstand großen Unterstützungsbedarf gesehen hatte. Ihre Lebenssituation mit massiven körperlichen Einschränkungen und dem Tod des Lebensgefährten vor ein paar Jahren ist sehr belastend. Zudem hat sie keine Kinder und auch keine nahen Verwandte mehr. Freunde und Bekannte brauchen entweder selbst Unterstützung oder sind gar schon verstorben.
Trotz Einsamkeit und Überforderung mit dem Haushalt und der Unterhaltung des Hauses, schaffte sie es nicht, eine Entscheidung herbeizuführen. Obwohl die Altersarmut in der Regel das größte Risiko für die Einsamkeit ist, ist Geld hier gar nicht das Hindernis. Jedes Krankenhaus hat ein Entlassmanagement, welches die Versorgung zuhause in die Wege leitet, einen Pflegegrad beantragt und Pflegedienste kontaktiert. In dem Falle der Nachbarin hat dies jedoch nicht gegriffen. Denn man kann niemanden zu seinem Glück zwingen. So lange die Dame keinen Bevollmächtigten einsetzt und selbst alle Hilfen ablehnt, kann niemand tätig werden. Es fehlt eine Vertrauensperson, die auf sie einwirkt und sie unterstützt.
Im Zweifel für die Einsamkeit
Ich frage mich nun, warum der eine Mensch die Aufgaben, die das Leben ihm aufgibt, annimmt und versucht, das Beste daraus zu machen, der andere eher hadert, unfähig ist, Dinge zu entscheiden und im Zweifel eher einsam und ohne Hilfe leidet, bevor er zugibt, Hilfe zu brauchen. Mein Kunde ist noch rüstig, am Leben interessiert, sehr aktiv und sozial eingebunden. Die Nachbarin im gleichen Alter dagegen ist stark körperlich eingeschränkt und lebt ohne Sozialkontakte. Beim einen ist das Glas halbvoll und beim anderen das Glas halb leer, wie es so treffend heißt. Manifestiert sich die Einsamkeit hat dies nachweislich Einfluss auf unseren Gesundheitszustand und vor allem auch auf unsere Psyche.
In der Fachsprache heißt die Lösung self-empowerment. Das ist die Fähigkeit, eigene Entscheidungen herbeizuführen und sich aus eigenem Antrieb heraus zu verändern. Aber ich bin kein Psychologe. Ich stelle nur fest, dass es viele ältere Menschen gibt, die diese Fähigkeit nicht mehr haben. Krankheit und Verlust des Ehepartners sind hier die größten Risikofaktoren. Gerade dann ziehen sich viele aus dem sozialen Leben zurück. Ist der richtige Zeitpunkt verpasst, beginnt ein Teufelskreis, aus dem man alleine nicht mehr herausfindet. Es gibt doch so viel Hilfsangebote, in unserem Sozialstaat ist doch für alle gesorgt, mag man denken. Jeder der im Ehrenamt engagiert ist, weiß um das Problem der Einsamkeit im Alter und kennt das Problem, dass man viele Menschen mit den Angeboten vor Ort nicht mehr erreicht.
Die letzte Bastion
In Deutschland sind rund 40% der Haushalte Einpersonenhaushalte. Jeder dritte Alleinlebende ist über 65 Jahre alt, viele davon leben in Einfamilienhäusern. Ganze Nachbarschaften überaltern. Wohnsiedlungen am Stadtrand aus den 60 er und 70 er Jahren werden oft noch von den Menschen der ersten Stunde bewohnt. Partner und Nachbarn versterben oder kommen ins Heim und die Kinder wohnen weit weg, was die Einsamkeit noch verstärkt. Man will niemandem zur Last fallen und klammert sich an die letzte Bastion der Autonomie, das eigene Zuhause.
Vielleicht brauchen auch wir Deutschen einen Einsamkeitsminister. Zumindest braucht es noch mehr Menschen, die sich dem Thema annehmen, Denkanstöße geben und konkrete Hilfsangebote zur sozialen Teilhabe machen.
Herzlichst Ihre