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Eben noch haben wir ihn gefeiert, den goldenen Oktober, mit seinen vielen Sonnenstrahlen und zack – schon ist er da, der vorletzte Monat des Jahres, der November, den wir gerne als „grau und trist“ beschreiben – und vielleicht zu unrecht in diese Schublade stecken. Klar ist, der November ist für viele ein Übergangsmonat, hin zum erwartungsvollen, geheimnisvollen Advent im Dezember, eine Hinwendung zum Winter mit den kürzer werdenden Tagen, den Wetterwechseln, ein erster Moment des Innehaltens nach einem intensiven Sommer, eine Hinwendung ins Innere.

Im Kirchenjahr ist der November die Zeit, in der wir mit Allerheiligen und Allerseelen, dem Volkstrauertag und dem Ewigkeitssonntag an zwei Tagen der Verstorbenen gedenken. Eine gute, eine bedeutungsvolle Gelegenheit, sich im Blog unserer Demenz-Fibel einmal dem Thema „Demenz und Trauer, Trauer und Demenz“ zu widmen. Trauern Menschen mit Demenz anders? Ist es sinnvoll, Menschen mit Demenz mitzuteilen, dass ein geliebter Mensch aus ihrem Umfeld verstorben ist? Überfordern wir Menschen mit Demenz, wenn wir sie an einer Trauerfeier teilnehmen lassen? Unter den bewährten Überschriften unserer Fibel möchte ich Sie an meinen Gedankensplittern teilhaben lassen und zum Nachdenken, zum Innehalten, zum Hinwenden bewegen.

Trauer soll und muss auch von Menschen mit Demenz verarbeitet werden. Bildquelle: © Jeremy Wong / Unsplash.com
Trauer soll und muss auch von Menschen mit Demenz verarbeitet werden. Bildquelle: © Jeremy Wong / Unsplash.com

Erspüren:

Unser aller Grundemotionen wie Freude, Trauer, Ärger, Ekel…führen zu Veränderungen unserer Mimik, der Körperhaltung, unserer Stimme und Stimmung, ja sogar zu den Funktionen der inneren Organe und sie stehen in enger Wechselwirkung mit diesen. Interessanterweise können unsere Grundemotionen von allen Menschen unabhängig von Kultur etc. interpretiert werden. Wie sich Emotionen im Laufe der Evolution zu dem entwickelt haben, was wir heute kennen, ist nach wie vor nicht ganz geklärt. Wahrscheinlich ist, dass bestimmte Wahrnehmungen und Empfindungen zu Veränderungen der Gehirnfunktionen führten.

Wir haben uns in unseren Kulturkreisen angewöhnt, Emotionen in „gut“ oder „schlecht“ einzuteilen und dabei verlernt, dass all unsere Emotionen es gut mit uns meinen. Dass sie uns in unserem (Er)leben wachsen lassen wollen. Häufig tendieren wir dazu, „schlechte“ Gefühle „ungefühlt“ machen zu wollen, sie zu übergehen, unter Verschluss zu halten, sie unsichtbar werden zu lassen. Wir bagatellisieren („ist doch nicht so schlimm, es geht schon“) oder übergehen sie („jetz haste aber genug geweint, jetzt ist es mal wieder gut“). Trauer und Traurigkeit auszuhalten, fällt schwer, besonders bei den Menschen, die wir lieben. Wir möchten sie schützen, beschützen, vor „schlechten“ Emotionen bewahren. Auch das ist menschlich.

Menschen mit Demenz fordern uns heraus, wenn es um Gefühle geht, die wir selbst nicht so gern fühlen wollen. Wir fühlen uns gefordert und häufig durch ihr Verhalten auch überfordert. Das liegt daran, dass Menschen mit Demenz auf das, was sie spüren, unmittelbar reagieren. Mit Verhaltensweisen und Reaktionen, die unserer Evolution entspringen, mit ureigenem Instinkt. Mit Apathie, Aggression oder Umherlaufen. Sich tot stellen, kämpfen oder fliehen.

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Nur Sensibilität und Offenheit für die Art des emotionalen Ausdrucks von Menschen mit Demenz führt in den Begegnungen dazu, dass Emotionen sich wandeln können.

Der offene Umgang mit Gefühlen ist uns in der heutigen Zeit oft fremd, aber in der Begegnung mit Menschen mit Demenz unsagbar wichtig. Bildquelle: © Tim Doerfler / Unsplash.com
Der offene Umgang mit Gefühlen ist uns in der heutigen Zeit oft fremd, aber in der Begegnung mit Menschen mit Demenz unsagbar wichtig. Bildquelle: © Tim Doerfler / Unsplash.com

Verstehen:

Menschen mit Demenz, und mag diese noch so weit fortgeschritten sein, sind fähig, bei anderen Menschen, ihrem Gegenüber also, die Grundemotionen wie Trauer, Freude, Ekel, Wut, Überraschung, genauso gut zu erkennen wie gesunde Menschen. Viel mehr noch: Menschen mit Demenz besitzen ob der Abnahme ihrer kognitiven Fähigkeiten ein intensives Gespür für die „Zwischentöne“, weil sie in ihrem Alltag oft stärker als wir in unserer „verkopften Welt“ auf diese zusätzlichen Wahrnehmungskanäle angewiesen sind. Dazu gehören bspw. das Erfassen der Sprachmelodie des Gegenübers, die nonverbale Kommunikation vermittelt durch Körperhaltung, Gestik und Berührung.

Unser Körper lügt nicht, heißt es. Machen wir uns bewusst, dass wir – nach neuesten Erkenntnissen bezogen auf Deutschland – weit über 80% ausschließlich nonverbal kommunizieren. Sind wir also geneigt, unsere eigene Traurigkeit vor einer Person mit Demenz überspielen zu wollen – dann kommt sie sowieso heraus. Übrig bleibt dann ein für Menschen mit und ohne Demenz diffuses Gefühl von Angst ( = der Emotion, die für uns alle am schwierigsten zu erkennen und zu fassen ist). Der Angst, meinem Gegenüber und meiner Wahrnehmung nicht mehr trauen zu können.

Die mögliche Folgen: Apathie, Aggression, Unruhe. Sich totstellen, kämpfen oder fliehen. Menschen mit Demenz sind mit dem Fortschreiten der Erkrankung möglicherweise nicht mehr in Lage, eigene Gefühle zu beschreiben und zu benennen wie wir es gewohnt sind. Emotionen werden gelebt, nicht (mehr) reflektiert. Sie werden unmittelbar ausgedrückt. Sie wählen den direkten Weg über die Körperlichkeit.

Handeln:

Bleiben Sie in ihrer Trauer echt. Bleiben Sie bei sich und IHREN Gefühlen. Benennen Sie, was passiert ist und was SIE erleben: „Mama, Tante Inge ist tot. Deine Schwester Inge. Sie ist gestorben. Sie fehlt mir. Ich kann es gar nicht begreifen. So plötzlich.“

Versuchen Sie, Emotionen Ihres Gegenübers nicht nur wahrzunehmen, sondern auch auszuhalten, statt Sie zu übergehen. Mama reagiert wütend? Das ist ihr gutes Recht! Mama reagiert vermeintlich sorglos, weil sie ihre tote Schwester Inge noch nicht gesehen hat, die Trauerfeier noch nicht stattgefunden hat, die Tragweite der gehörten Worte nicht erfasst? Das ist ihr gutes Recht! Und bedeutet nicht, dass es im nächsten Moment nicht anders sein kann.

Bleiben Sie also wachsam und sorgen Sie für eine Atmosphäre, in der Emotionen Raum haben, Platz nehmen können. Eine Atmosphäre, in der Sie signalisieren, dass Sie ihr Gegenüber mit der Demenzerkrankung Ernst nehmen. Dadurch vermitteln Sie Sicherheit und schaffen eine Basis, aus der Geborgenheit erwachsen kann. Eine Hilfe kann dabei das gemeinsame Gestalten von Ritualen sein.

Schaffen Sie die passende Umgebung und die richtige Atmosphäre und geben Sie vor allem den Emotionen ihren nötigen Raum. Bildquelle: © Esther Wiegardt / Unsplash.com
Schaffen Sie die passende Umgebung und die richtige Atmosphäre und geben Sie vor allem den Emotionen ihren nötigen Raum. Bildquelle: © Esther Wiegardt / Unsplash.com

Trauer: Rituale geben Halt

Die Schriftstellerin Christina Brudereck schreibt dazu in einem Artikel in der ZEIT:

„Rituale geben Halt. Einen Rahmen. Wenn Gefühle uns überwältigen wollen, wissen sie von einer anderen Macht. Ermöglichen und begleiten den Übergang. Sie schaffen Zugehörigkeit. Wir vergewissern uns unserer Werte.“

In Ritualen haben alle Emotionen in all ihren Facetten Platz. Sie ermöglichen Menschen mit Demenz Selbstbestimmung und Würde im Umgang mit ihren Emotionen. Rituale, das können Berührungen, Gebete, Segen, Lieder, etc. sein. In Liedern sind unsere ureigenen menschlichen Lebensthemen abgespeichert. Lieder erzählen vom Leben – von Liebe, Heimweh, Freude, Schmerz, Abschied, Sehnsucht und Trauer. Indem Sie bspw. ein Lied, eine Musik zur Stimmung wählen, geben Sie den Emotionen eine Form und lassen die Affekte für Menschen mit Demenz nicht in der Luft hängen.

Einen wunderbaren Beitrag zum Thema „Demenz und Trauer“, zum kongruenten, echten Handeln, zum Gewährenlassen, zum Verstehen von Verhaltensweisen finden Sie bei der Familientrauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper auf Facebook sowie in ihrem Buch „Geschichten, die das Leben erzählt, weil der Tod sie geschrieben hat“ (Patmos Verlag)

Ihren Blick auf die Emotionen von Menschen mit Demenz schärfen können Sie in den Seminaren von Marlis Lamers, mehr unter www.kommunikation-wortlos.de.

Bleiben Sie mutig bei sich und vertrauen Sie Ihrem Instinkt im Umgang mit der Trauer in der Begegnung mit Menschen mit Demenz. Wenn sich etwas nicht stimmig anfühlt, ist es das. Sprechen Sie aus, was Sie fühlen und denken. Damit bereiten Sie den Boden für das Wertvollste, das wir haben: das echte, ehrliche Teilen von Zeit in einer aufrichtigen zwischenmenschlichen Begegnung – ob mit oder ohne Demenz.

Sie haben Fragen und möchten Rückmeldung geben? Schreiben Sie mir. Ich freue mich auf Ihre Zeilen.

Herzlichst, Ihre

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