Wenn intensivere Begleitung oder Pflege nötig wird, beginnt für Eltern und die jüngere Generation eine neue Lebensphase – egal, ob kurzfristig oder auf längere Zeit. Die veränderte Situation schafft für beide Seiten neue Rollen und Lebensbilder, die anzunehmen oft nicht leicht ist. Sich dabei durch professionelle Unterstützung begleiten zu lassen, kann für alle Beteiligten eine große Hilfe sein und Klärung bringen. Anna Basse ist systemischer Business-Coach und Trainerin für Ausnahme- und Krisensituationen und bietet Ratsuchenden in ihren Seminaren Raum und Zeit, um miteinander Lösungen für den anstehenden Lebensabend zu finden.
Frau Basse, wie sind Sie auf das Thema “Älter werdende Eltern begleiten – Beziehung stärken, Entlastung finden” gekommen?
Grundsätzlich beschäftige ich mich in meiner Arbeit mit dem Raum und der Interaktion, die zwischen Menschen in Ausnahmesituationen oder neuen Lebenssituationen entstehen. Und deswegen ist für mich dieses Thema so wichtig, weil sich ein Rollenwechsel ergibt und eine neue Lebensphase: Ich bin ein erwachsenes Kind und begleite meine Eltern. Oder umgekehrt, ich werde alt und soll mich plötzlich von meinem Kind begleiten lassen. Um dieses Spannungsfeld und um die Beziehung zwischen Kind und Eltern geht es in meinen Coachings und Seminaren.
Viele der 59plus Generation finden sich in dieser Situation wieder. Kann man sagen, dass heute die Anforderungen an das Älterwerden und damit an den Lebensabend komplexer geworden sind?
Ja, und zwar aufgrund ganz unterschiedlicher Faktoren. Auf der einen Seite leben wir in ganz anderen Lebensumständen. Die räumliche Distanz zwischen Eltern und Kindern ist ein großer Faktor, weil man eben nicht mal schnell bei den Eltern vorbeischauen kann. Die Frage stellt sich, wie man die bewusste Rolle als begleitendes und erwachsendes Kind leben kann. Dann sind viele in der Situation, dass gerade die eigenen Kinder Hilfe brauchen oder aus dem Haus gehen und dann bei den Eltern auch Unterstützung nötig ist. Oder man kümmert sich parallel um die eigenen Kinder und die Eltern – und hat ja dann auch noch einen Beruf.
Früher waren die Rollen klarer aufgeteilt …
Wir haben es mit einem aussterbenden Beruf zu tun, nämlich dem der Hausfrau. Früher war das Teil ihrer Rolle und sie hat das ganz bewusst als ihre Aufgabe gesehen, sich um die Menschen ihrer Familie zu kümmern. Da heutzutage weder Frauen noch Männer hauptberuflich im Haushalt arbeiten, sondern dieser meistens irgendwie mitläuft, ist der Raum und die Zeit, die dafür da ist, viel knapper geworden. Auf der anderen Seite ist der Anspruch viel höher. Die Menschen gehen nicht mit 69 Jahren in ein Seniorenheim, sondern wollen solange es geht zu Hause bleiben. Und für die Bewahrung eines selbstbestimmten Lebens muss unglaublich viel organisiert werden, was für Senioren alleine kaum zu bewältigen ist. Wo früher die Generationen unter einem Dach gelebt haben und sich die Eltern mittags zum Essen an den Tisch gesetzt haben, wo sowieso gegessen wurde, war das eine andere, von der Organisation her gesehen einfachere Situation.
Heute versucht man dann telefonisch den Eltern zu helfen oder die Hilfe zu delegieren, aber letztlich bleibt das schlechte Gewissen, weil man nicht das tun kann, was eigentlich nötig wäre. Was sagen Sie dazu den Teilnehmern Ihrer Workshops?
In solchen emotional verstrickten Situationen rate ich ihnen, auch mal gemeinsam zu schimpfen und zu lachen. Oder sich die Frage zu stellen, ob ich überhaupt ein Schuldgefühl haben sollte oder was in mir dieses Gefühl auslöst. Wissen meine Eltern um diese Gefühlssituation? Vielleicht würden die Eltern ihr Kind mit großen Augen anschauen und sagen, das haben wir nie so gewollt. Wir wollen doch, dass du als unser Kind ein frohes und selbstbestimmtes Leben führst. Und gleichzeitig haben auch viele Eltern die Sorge, ihre Kinder zu belasten und entwickeln ein eigenes schlechtes Gewissen. Den Anstoß zu einer offenen Diskussion zu diesen Fragen gebe ich meinen Teilnehmern im Workshop.
Bietet diese Lebensphase auch Chancen?
Unbedingt! Und deshalb tut es mir weh, wenn ich diese Auseinandersetzung und das emotionale Gerangel sehe und dann sage ich: Wir wissen doch alle, dass diese Lebensphase endlich ist. Es geht etwas zu Ende und das ist wie ein Bruch im Leben für alle schmerzlich. Aber genauso habe ich als Kind mit meinen Eltern jetzt noch Menschen an meiner Seite, die mir als Einzige Geschichten über mich erzählen können. Aus Zeiten, wo mich mein Partner und meine Kinder nicht erlebt haben. Und meine beste Freundin kann sich daran wahrscheinlich auch nicht mehr erinnern. Aber meine Mutter und mein Vater können das. Das sind Schätze, durch die Versöhnung möglich wird, Respekt und Würde und ein liebevolles Miteinandersein. Wenn ich diese Chance ergreifen möchte, diesen Schatz zu heben, dann muss ich da bewusst hinschauen. Und dafür hilft es zu lernen, wie ich mit mir selbst und der anderen Seite gut umgehe.
Mit welchen Konflikten kommen die Menschen in Ihre Seminare?
Gerade wenn die mittlere Generation mit der Kindererziehung fertig ist und dann die Eltern nach Hilfe rufen, dann stülpt sie – weil es ja schon mal funktioniert hat – ihnen dasselbe Muster über. Bei erwachsenen unabhängigen Menschen führt das erstens zu Rebellion und zweitens zu offenen oder verdeckten Konflikten in der Beziehung. Beispielsweise kann ich hingehen und meinem Vater den Autoschlüssel wegnehmen. Stattdessen kann ich ihm bewusst machen, dass seine Handlungen Konsequenzen haben. Und kann mit ihm darüber sprechen, dass er diesmal vielleicht nur eine Schramme in sein Auto gefahren hat aber beim nächsten Mal vielleicht etwas Schlimmeres passieren kann. Individuelle Lösungen für die gemeinsamen Themen zu finden, das ist mir ein Anliegen, damit sich beide Seiten hier nicht aufreiben, sondern neu zueinander finden.
Heißt das, dass die Kommunikation auf Augenhöhe entscheidend ist, um mit diesen Herausforderungen für beide Seiten akzeptabel umzugehen?
Ganz genau. Und der Respekt für beide Seiten und die Würde bei der Elterngeneration.
Wie sind Ihre Erfahrungen, wenn die Eltern-Kind Beziehung schon vorher schwierig war? Kann auch dann ein gemeinsamer Workshop unterstützend sein?
In einem Workshop in einer Gruppe gibt es Themen, die man sich anschauen kann, wenn die Teilnehmer dazu bereit sind. Es gibt aber auch Themen, die zu individuell sind, um sie vor einer Gruppe zu diskutieren. Was ich oft in den Workshops erlebe, ist, dass es für die Teilnehmer unglaublich augenöffnend ist, wenn sie erkennen, dass es nicht nur ihr Problem mit der Mutter oder der Tochter ist, sondern dass sie das mit Vielen teilen und es auch ein gesellschaftliches Thema ist. Dann können sie von ihrer eigenen Befindlichkeit viel leichter absehen, wenn andere sagen “Das kenne ich auch”. Und dann kann man sich wunderbar darüber austauschen, was hilfreiches Verhalten ist und wie Kommunikation gelingen kann. Wenn es darum geht, für eine schwierige Situation eine Lösung zu finden, dann hilft ein Familiencoaching, wo man sich an einem Wochenende Zeit nimmt, sich mit dem Thema zu beschäftigen und die Möglichkeit schafft, einen Schritt weiterzugehen.
Wie wird das Angebot angenommen?
Die größeren Schmerzen hat die Kindergeneration, also die der Generation 59plus. Denn sie sind diejenigen, die in diesem Spagat leben und deren eigene Kräfte auch nicht mehr die mit 18 sind. Die Menschen, die jetzt alt werden, kommen ja aus einer Durchhaltegeneration, was nicht bedeutet, dass sie keine Schwierigkeiten haben. Meine Erfahrung ist, wenn die Kinder ihre Eltern bitten, mal auf die Situation zu schauen, dann sind die Eltern auch dazu bereit.
Was können Eltern und Kinder dabei lernen?
Für die Eltern ist es oft ein Augen- und Herzöffner, wenn ihnen ihr Kind Kompetenz zu- und nicht abspricht. Ein Beispiel: Wenn Eltern von vier Kindern ihr Erbe nicht regeln, dann sind sie dafür verantwortlich, dass es hinterher Ärger gibt. Sie können sich aber auch zu Lebzeiten ein Herz fassen und sich mit ihren Kindern an einen Tisch setzen und darüber sprechen. Das schafft Nähe. Diese schwierigen, aber unvermeidbaren Themen haben ja auch alle ihre Chancen. Wie auch, sich gemeinsam mit der Patientenverfügung zu beschäftigen und dabei ganz neue und wichtige Dinge zu erfahren. Beispielsweise, dass die Mutter es nicht mag, wenn sie im Bett liegt und die Füße zugedeckt sind. Dieses umeinander Wissen erzeugt so eine neue persönliche Nähe und gleichzeitig ist es ein Geschenk für das Kind, dass es weiß, es gibt etwas, was es für die Mutter tun kann, wenn sie sich selbst nicht mehr helfen kann.
Was können Sie der Generation 59plus als Tipp mitgeben?
Alles, was man vorbereiten kann, ist besser, als nichts vorzubereiten. Und da ermutige ich die Menschen dazu, einfach mal anzufangen und dann ergeben sich die einzelnen Punkte schon von selbst. Letztlich hat es mehr mit der persönlichen Haltung zu tun. Wenn meine Haltung zu meinen Eltern ist, die können ja überhaupt nichts mehr, ich muss ja alles machen, dann werde ich auch alles machen. Ich kann mich aber auch dazu entscheiden, ihnen zu vertrauen. Denn solange sie noch voll handlungsfähig sind, können sie auch die Konsequenzen ihres Handelns berücksichtigen und tragen. Und ich darf darauf vertrauen, dass sie es tun. Das ergibt eine gute Basis für eine Unterstützung, die beiden Seiten nutzt und Freude macht. Und von diesem gegenseitigen Respekt wünschen wir uns doch mehr.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Für Anmeldungen zu Workshops, individuelle Termine und Begleitung können Sie Anna Basse gern direkt anrufen: 0160 / 91875059 oder schreiben Sie eine E-Mail an kontakt@anna-basse-consulting.de. Auf ihrer Website www.anna-basse-consulting.de finden Sie weitere Informationen.