Andreas Kriegenburg inszeniert am Düsseldorfer Schauspiel Brechts „Dreigroschenoper“, streift sie aber nur im Vorbeigehen.
Von Mark Seebürger, 12. November 2017
Das gesamte Ensemble steht zur Schlussnummer an der Rampe und schmettert ausdrucksstark und irgendwie bedrohlich „Der Mensch lebt nur von Missetat allein“. Hier endlich flackert das chorische Mahnen auf, welches 1928 durch Bertolt Brechts Libretto und Kurt Weills Musik noch wie ein desillusionierender Schlag ins Gesicht gewirkt haben muss – „…bildet euch da nur nichts ein!“.
Am Düsseldorfer Schauspielhaus hat dieses Aufflackern keine Chance, zu seinem inbrünstigen Brennen oder gar Einbrennen ins Bewusstsein zu werden, da Andreas Kriegenburg größtenteils mit (irr)witziger und akrobatisch-ausgelassener Unbekümmertheit darüber hinwegfegt, und der Funke somit erlischt. Jubelnder Applaus für die Ensemble- und Musikbandleistung, sowie für einzelne darstellerische glimmende Momente.
Aber Jubel für einen politisch-sozialkritischen Zugriff seitens Regie und Dramaturgie war es sicherlich nicht. Von daher versinkt der Abend in eine komödiantische Bequemlichkeit und in einem „amüsanten, unterhaltsamen Abend“, wie Kriegenburg es dem Publikum nach einem kurzen Small Talk mit dem Intendanten Wilfried Schultz kurz vor Vorstellungsbeginn wünschte. Wenigstens in diesem Punkt wurde dieses Versprechen vom körperlich-tänzerisch agierenden, vereinzelt expressiv bis leer-flach singenden Ensemble eingelöst. Vieles wird wird an diesem divergenten Abend „ver-spielt“.
Dreigroschenoper – Alles fängt verheißungsvoll an.
Die Guckkastenbühne des Bühnenbildners Kriegenburg sieht wie mit Messingtafeln ausgelegt aus und wird mit sich langsam abwechselnden Farben voll ausgeleuchtet. In einem in den Bühnenboden halb versenkten Käfig sitzt das achtköpfige, mit durchsichtigen Strumpfmasken und abgewetzten Uniformen ausgestattete Orchester und klopft-rüttelt vereinzelt mit Händen und Instrument-Utensilien an den Gitterstäben herum. Musikleiter Franz Leander Klees „Lonely Hearts Club Band“ ist dort eingepfercht, möchte man fast meinen, denn die Band klopft und rüttelt schwach an den Gittern, leer die eintreffenden Zuschauer anblickend und ab und an ein „Help“-Pappschild durch den Gitterstäbe haltend. Ein irritierendes Bild einer vielleicht domestizierten, vielleicht ausländischen Musikband – irgendwie musste ich wegen der Duftbäume, Sessel und Stehlampen an das Wohnraum-Zusammengepferchtsein von Flüchtlingen denken.
Als die großartig komödiantische Cennet Rüya Voß als „Moritatensänger“ herrlich ungelenk von hinten auf die Bühne kraxelt und („Sechuan“) murmelnd neben dem Musikerkäfig zum Stehen kommt, strecken die Musiker ihr flehend ihre Arme entgegen, was Voß in absichtlich unverständlichem Gebrabbel beschwichtigend abtut. Ebenso absichtlich unverständlich ist ihre dreimalig ansetzende Begrüßung des Publikums, bis das Wort „Düsseldorf’“ fällt und von da an Deutsch gesprochen wird.
Kraftvoll setzt die Overtüre ein und an den nun durchsichtigen Bühnenwänden tauchen die Schemen der Schauspieler auf. Diese treten höchst körperlich agierend durch die vermeintlichen Messingplatten – nun Gaze-Gitterteile – auf. Eine schräg-schaurige Truppe kommt da auf uns zu: mit abbröckelnder weißer Maske, schwarzen Augenhöhlen, grell-roten Mündern, zotteligen Frisuren und in fantastisch bunten, oft schwarz-weiß längs und quer gestreiften, zerfetzt-zusammengeklaubten Rüschen-Kostümierungen der Kostümbildnerin Andrea Schraad. Nach der wundervollen „Haifisch“-Moritat wird größtenteils ausgestellt flott-“perlend“ gesprochen, Silben und Buchstaben wiederholt und Kalauer versprüht.
Requisiten und Möbel werden aufgemalt auf Pappschildern hereingetragen, was das sozial-materielle Elend der Figuren auf charmant-verspielte Art illustriert. Spielweise und Sprache verbreiten den Ton von emotionaler Unbekümmertheit der Figuren bezüglich ihrer Nöte, Abhängigkeiten und inneren Verletzungen. Die inszenierte Vorbereitung auf einen Abend der desillusionierenden Spielweise ist somit gesetzt, könnte man meinen.
Diese ersten Bilder des physischen und psychischen (eigenen?) „Käfigs“ hätten eine interessante sinnliche und kritisierende Akzentuierung heutiger und noch immer bestehender Missstände sein können. Doch sie spiegeln keine interpretatorische Haltung wider, werden nicht aufgelöst oder münden in eine konzeptionelle Pointe, sondern sind bloßes Entertainment. Selbst als sehr viel später durch Serkan Kaya, Sonja Beißwenger und Tabea Bettin für drei kurze Momente Wärme, Nähe, des echten Gefühls und berührenden Schauspiels aufkommen und sich der Tonfall merklich ändert, wird danach weiter gewitzelt. Das ist auf die Dauer ermüdend, da sich kaum Tiefe einstellt.
Verführerische Schauspieler
Serkan Kaya als „Alice Cooper“-ähnlich-unheimlicher, schlangenartiger „Macheath“ hat erst in seinen „Ruf aus der Gruft“- und „Grabschrift“-Liedern die Möglichkeit, sein beeindruckendes Talent zeigen zu können. Da wetterleuchten plötzlich und endlich viele vorher vermisste Facetten. Ebenbürtig dazu Sonja Beißwenger als „Spelunkenjenny“. Ihr ausdrucksstarkes, nuanciertes Gesangs-Spiel stellt das eher blasse Spiel und das lediglich handwerklich vorgetragene „Seeräuberjenny“-Lied von „Polly Peachum“ Lou Strenger bei Weitem in den Schatten. Überhaupt kommen die Frauen in Kriegenburgs Inszenierung besser weg als die Männer: Claudia Hübbeckers angeschickerte, parierende „Frau Peachum“ kann sich gegen ihren im Hitler-Tonfall palavernden Mann „Jonathan Peachum“ (Rainer Philippi) ironisierend hinwegsetzen und Tabea Bettin gibt ihre „Peachums Tochter Lucy“ mit großer Verletzlichkeit und kampfbereiter Würde. Thomas Wittmanns korrupter „Polizeichef Brown“ ist weder Weichling noch Intrigant, und man kann sich kaum vorstellen, dass er um den Gräuel des „Kanonensongs“ weiß. Konstantin Lindhordst, Wolf Danny Homann, Kilian Land und Jonas Friedrich Leonhardi als „Macheaths Platte von Straßenbanditen“ haben amüsante Soli und lassen ihre abgemagerten „Huren“-Puppen der Puppenbauerin Ulrike Mitulla zum Leben erwecken.
Eigenes Empfindungstraining
Man kann dem facettenreich-spielenden Orchester und dem singenden Schauspielern keinen Vorwurf machen. Sie geben ihr Bestes, werfen sich mit körperlicher und sprachlicher Hingabe in das komödiantische Ausgestelltsein ihrer Figuren, legen Theatertricks wie Ohrfeigen dar, bebildern Stummflim-artig „Polizeijagd“ und und poetisch „Regen und Schnee“, tragen, fangen und führen einander (Tango) tanzend durch die Aufführung. Die Ensembleleistung ist schon beachtlich, aber sie verpufft, da die Geschichte der „Dreigroschenoper“ dann doch nicht genügend Brisanz bietet, als dass sie tief gründen könne.
Es gibt in den bös-verführerischen, zum-Elend-mitschunkelbaren Gassenhauern von Weill durchaus Aktualisierungs-Potential und zeitlose Bezüge. So aber bleibt es bei einer operettenhaften, letztlich seichten Zurschaustellung. Auf die Frage, warum man heute diese widersprüchliche „Dreigroschenoper“ zeigen soll geben Intendanz, Dramaturgie und Regie nach Kriegenburgs höchst ambitionierten Berlin-Gastspiel „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ im November 2016 mit dieser Produktion eine erschreckend ambitionslose Antwort: „einen vergnüglichen, amüsanten Abend“, der aber an Diskussionsmöglichkeit nicht nachhallt.
Ist Das im Sinne Brechts und Weills, die über die unbekümmerte Begeisterung des Publikums selbst irritiert waren? Ist das die Travestie einer Travestie? Ich als Theatergänger, der unter anderem in der Kunst seine „Empfindungsfähigkeit trainieren kann und möchte“ – ebenfalls ein vorheriges Kriegenburg-Zitat zur Möglichkeit des Theaters und zum bevorstehenen Abend -, fühlte mich jedenfalls nicht ernst genommen und unterschätzt. Mache ich mal wieder selbst was daraus, aber dafür brauche ich diese unausgegorene Inszenierung nicht! „Ihr Herren bildet euch da nur nichts ein!“