Kürzlich haben wir Ihnen die 98-Jährige Brigitte Würtz im Porträt vorgestellt. Eine beeindruckende Frau, Romanautorin, Porträtmalerin und Freundin der digitalen Welt: dem Computer. Wie sie es schafft, auch mit knapp 100 Jahren immer noch fit im Kopf zu bleiben, verrät sie uns im Interview.
Im kommenden Jahr feiern Sie Ihren 100.sten Geburtstag – was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir, dass meine Gesundheit bis dahin durchhält und ich diesen besonderen Geburtstag im Kreise meiner Familie und Freunde dankbar und fröhlich feiern kann.
Wie wichtig ist es für Sie, sich auch in diesem stolzen Alter „fit im Kopf“ zu halten und wie machen Sie das?
Ich halte das für sehr wichtig. Im Alter muss man viel organisieren und muss viel umdenken, weil unerwartete Probleme auftauchen. „Fit im Kopf“ ist die Basis für ein angenehmes Altwerden. Man sollte viele Interessen haben. Es ist schwer, damit erst im Alter anzufangen, der Grundstein sollte früher gelegt werden. Das Wichtigste aber ist, dass man etwas macht, ganz gleich was. Produzieren ist besser als konsumieren. Ich habe zum Beispiel in den letzten Jahren mehrere Fotobücher produziert, habe einen Roman geschrieben, ganze Serien an Computergrafik sind neu entstanden und ich habe für mich gerade ganz neu das Modellieren entdeckt. Es macht einen Riesenspaß kleine Figuren, ganze Familien aus Fimo herzustellen.
Für die körperliche Bewegung habe ich ein tägliches Programm: Jeden Tag Gymnastik und eine Runde Laufen. Es fällt nicht immer leicht und während ich Leute fröhlich mit ihren Hunden „Gassi“ gehen sehe, führe ich schmunzelnd meinen inneren Schweinehund spazieren.
Ein Leben als Künstlerkind
Wie hat es sich als Kind angefühlt Künstlereltern zu haben?
Ich wurde schon als Kind viel mit Kunst in Berührung gebracht. Ich habe meinen Eltern bei der Arbeit zugesehen und sie haben mich zu anderen Künstlern in deren Ateliers mitgenommen. Außerdem wurde ich zu unendlich vielen Ausstellungsbesuchen mitgenommen. Das hat mich fürs Leben geprägt.
War damit Ihre berufliche Ausrichtung schon vorgegeben?
Ja und Nein. Ich habe den Beruf Modezeichnerin gelernt aber nie in dieser Form ausgeübt. Aber zur Berufsausbildung gehörte Schneidern und so konnte ich in Notzeiten meinen Kindern und mir manches schöne Kleid zaubern. Das Zeichnen kam mir sehr viel später, als ich professionelle Porträtmalerin war, zu Nutzen.
Ich habe mit 20 geheiratet, dann war Krieg und ich habe Kinder bekommen. Wir waren zu Kriegsende in Schlesien und mussten fliehen. Wir hatten um eine neue Existenz zu kämpfen. So pachteten wir eine Lederfabrik und gründeten eine Schuhfabrik. Ich lernte Buchhaltung und machte den Bilanzbuchhalterabschluss. Ich unternahm für die beiden Firmen viele Reisen. Die waren immer abenteuerlich in der Nachkriegszeit. Die Autos waren in einem verheerenden Zustand. Ich erinnere mich, dass wir einmal bei einer Fahrt von Osterode nach Hamburg vier Reifenpannen hatten und bei einer Eisenbahnfahrt nach Berlin war der Zug, der mit 24 Stunden Verspätung ankam, so überfüllt, dass ich nur noch auf dem Dach einen Platz fand. (Nachzulesen in meinen Erinnerungen „Elard und Ich“)
Der Krieg verändert einfach alles
Sie waren zarte 21 Jahre alt als der Zweite Weltkrieg begann und haben diesen in vollem Ausmaß miterlebt. Aufgrund dieser Erfahrungen, was ist Ihr Rat an die jüngeren Generationen in der heutigen politischen Lage?
Das ist eine schwere Frage und Erfahrungen kann man bekanntlich nicht weitergeben, aber was ich in meinem Leben festgestellt habe, ist, dass es sich lohnt zu lernen und immer offen zu bleiben für die Herausforderungen, die sich einem stellen. Man sollte niemals aufgeben und immer weitermachen. Auch die heutige Generation wird sich, so wie ich, beruflich verändern und anpassen müssen, sogar vielleicht die Heimat verlassen, um da, wo es einen Job gibt – neu zu beginnen. Ganz allgemein würde ich vielleicht sagen, Höflichkeit und Dankbarkeit sind und waren für mich immer sehr entscheidende Werte. Wer diese Werte verinnerlicht, hat es leichter im Leben. Heute wie damals. Ein freundliches Lächeln kann den ganzen Tag erhellen und was man andern Gutes tut, kommt immer so oder so zu einem zurück. Wenn auch nicht unbedingt von dort, von wo man es erwartet.
Sie haben sich mit 40 noch einmal neu erfunden, begannen Kriminalromane zu schreiben. Wie kam es dazu?
Nach der Währungsreform konnten wir unsere Firmen nicht halten, die Konkurrenz der großen Firmen war zu stark. So haben wir beide Firmen liquidiert und mein Mann hat eine Anstellung in einer Großhandelsfirma in Frankfurt angenommen. Ehrenamtlich wurde ich Vorsitzende der GEDOK, (Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnen) und gleichzeitig Geschäftsführerin des Schriftstellerschutzverbands. Ich begann zu schreiben. Zunächst Gedichte, die in verschiedenen Zeitungen abgedruckt wurden, dann einen Kriminalroman.
Es war sehr schwer, ihn zu verkaufen, aber ich gab nicht auf. Ich schrieb weitere vier Kriminalromane. Alle Romane spielten in Paris und ich kannte schließlich den Stadtplan der Stadt besser als ein Taxifahrer. Durch Vermittlung des Schriftstellerschutzverbandes bekam ich eine Einladung nach Paris und wurde von einem Anwalt durch die „Police Judiciaire“, die Kriminalpolizei, geführt. Ich staunte, wie genau George Simenon die Räume in seinen Romanen mit Kommissar Maigret beschrieben hatte. Alles stand genau an seinem Platz, sogar die großen Kachelöfen. Zuhause erwartete mich die Überraschung: Goldmann hatte meinen Kriminalroman „Die Zaubertricks des Monsieur Pascal“ angenommen. Ich träumte von einer großen Karriere als Autorin.
Von der Porträtmalerei zum Computer
Später erwachte dann die Liebe zur Portraitmalerei. Schlummerte das schon immer in Ihnen oder gab es hierfür einen bestimmten Auslöser?
Meine Karriere kam ganz anders, als ich dachte. Just zu dieser Zeit als Goldmann meinen Krimi herausbrachte, zogen wir um nach München. Mein Mann hatte jetzt eine selbstständige Vertretung übernommen und ich übernahm das Homeoffice für ihn. Schreiben wurde durch die vielen Unterbrechungen nun sehr mühsam. Immerhin hatte ich schon den Kriminalroman herausgebracht. In München kannten wir durch die Gedok nur die Gräfin Rothenburg und die führte mich in die Münchner Gesellschaft gleich als Kriminalautorin ein. Das interessierte alle und wir wurden überall eingeladen. Da aber meine schriftstellerische Tätigkeit durch meine Büroarbeit nicht nur erschwert, sondern schier unmöglich wurde, begann ich zu zeichnen. Zunächst Bilderbücher, die aber bei den Verlagen schwer unterzubringen waren.
Dann wurde ich gefragt, ob ich auch Porträts malen könnte. Ich hatte drei Wochen Zeit mich auf das erste Porträt vorzubereiten und hatte zwanzig Personen meiner Umgebung porträtiert, als meine erste Kundin kam. (Alles nachzulesen in meinen Erinnerungen Band II „Porträtgeschichten“) Und tatsächlich wurde es der Anfang einer steilen Karriere nicht zuletzt durch meinen Bekanntheitsgrad als Schriftstellerin. Ich war damals 50. Zeitweise wurde ich als die Münchner Prominentenmalerin in den Zeitungen erwähnt. Ich habe rund 500 Porträts gemalt darunter sehr viele berühmte Leute. Es ist ein sehr herausfordernder Beruf, den ich bis zu meinem 75. Lebensjahr ausgeübt habe. Meine ersten Krimis wurden später übrigens auch verlegt und auch ein Bilderbuch „Wie die schöne Julia nach München kam“ fand einen Verleger.
Heute gestalten Sie Grafiken am Computer. Das macht Ihnen nicht nur Spaß, es hält sie so ganz nebenbei auch fit im Kopf. Eine außergewöhnliche Beschäftigung für Ihre Generation. Wann und auf welche Weise fanden Sie Zugang zur modernen Computerwelt?
Meine Mutter wurde im Alter blind. Sie konnte nicht mehr lesen. Ich hatte viele Hörbücher, aber sie konnte die Apparate nicht bedienen. Das hat mir zu denken gegeben und ich wollte mich auf jeden Fall mit der neuen Technik vertraut machen. Aus dem gleichen Grund lernte ich mit 70 Flöte spielen. Ich wollte, falls ich nicht mehr sehen könnte, Musik machen. Mein Flötenlehrer hatte sich einen Computer angeschafft und auf meinen Wunsch half er mir, (ich war inzwischen 79) beim Beschaffen eines Mac und brachte mir die Grundbegriffe bei. Sehr schnell entdeckte ich das Zeichenprogramm und war gleich total fasziniert von dieser Technik. Die Tochter einer Freundin war Grafikerin und machte mich mit den Programmen Photoshop und Freehand vertraut, damit konnte ich unglaubliche Welten erschaffen. Um mich auch auf diesem Gebiet bekannt zu machen, gestaltete ich meine Homepage, www.brigwuertz.de und setzte sie ins Netz.
Was können Sie anderen älteren Menschen, die den Bezug zu Computer und Internet bisher noch nicht gefunden haben, mit auf den Weg geben?
Ich kann nur jedem, raten keine Mühe zu scheuen, um sich die neuen Medien dienstbar zu machen. Wenn man den Anschluss verliert, wird es, je älter man wird, umso schwieriger. Zum Beispiel bin ich inzwischen altersbedingt stark in meiner Mobilität eingeschränkt und am Einkaufen behindert. Aber im Internet surfe ich wie in einem Warenhaus und bekomme alles, was ich brauche, geliefert. Mit dem Computer habe ich unendliche Möglichkeiten der Information und der Kommunikation. Als mein Mann einen Schlaganfall bekam und ich ihn betreuen musste, war ich ans Haus gebunden.
Aber durch das Internet hatte ich Kontakte mit der ganzen Welt. Ich korrespondierte mit fremden Leuten und besuchte abends die Chats. Außerdem hatten meine Tochter und meine Enkel ja gerade Friendscout gegründet und freuten sich, wenn ich für sie in den Chats die Stimmung der User beobachtete. Alles war sehr unterhaltsam und ich kam mir manchmal vor, wie auf einer Party. Auch Bridge kann man online mit fremden Leuten spielen, abgesehen von den vielen unterschiedlichen anderen Spielen, die angeboten werden. Ich zum Beispiel spiele am Computer jeden Abend vier oder fünf verschiedene Patiencen bevor ich schlafen gehe. Das ist spannender als jeder Film und mobilisiert nebenbei die „kleinen grauen Zellen“.
Sie unterstützen Ihre Enkelin Jana Filmer fleißig bei der Entstehung der virtuellen Zauberwelt von Merlantis, einer Online Plattform für Kinder. Was ist für Sie das Besondere an der Zusammenarbeit mit Ihrer Enkelin?
Jana hat eine wunderbare, virtuelle Zauberwelt entwickelt, die auf spielerische Weise Kindern die Natur wieder näherbringen möchte und Tiere als Zaubermeister vorstellt. Das ist großartig. Denn nicht nur ich, sondern Janas ganze Vorfahren waren sehr mit der Natur verbunden und liebten Tiere Wir hatten immer Hunde und ein enges Band zu ihnen und ich kann mir gut vorstellen, dass Kinder Spaß haben, auch mal von Tieren unterrichtet zu werden. Heute verlieren leider Menschen mehr und mehr den Bezug zur Natur und so verlieren auch die Kinder dieses wichtige Band zur Natur. Das ist für mich als 98-Jährige schon schwer mit anzusehen. Als mich also meine Enkeltochter fragte, ob ich für Ihre Zauberwelt ein paar Illustrationen zeichnen würde, war ich sofort sehr begeistert und auch etwas stolz. Vor allem da eine Sage, die ich bebildert habe, aus München – meiner Heimat – stammt.