Eicke Olsen, 72 Jahre alt und seine Frau haben eine Patenschaft für zwei Flüchtlinge aus Syrien übernommen. Im Interview mit 59plus erläutert der ehemalige Chemiker aus Bergisch-Gladbach seine Sicht auf die Integration von Geflüchteten in Deutschland.
Seit wann engagieren Sie sich für Flüchtlinge und aus welchem Grund?
Seit September 2015, d.h. seit der ersten großen Welle engagieren meine Frau und ich uns für Flüchtlinge. Meine Frau und ich haben im Herbst 2015 die Patenschaft für zwei junge Männer aus Syrien übernommen. Für mich gibt es dafür zwei Gründe: Zum einen war mir klar, dass die Menschen, die sich als absolute Neulinge hier einfinden, dringend Unterstützung benötigen, um sich im Alltag zurechtzufinden. Ich erinnere mich an meine Mutter, die während des Zweiten Weltkrieg aus dem damaligen Westpreußen flüchtete. Ohne den gefallenen Ehemann mit drei kleinen Kindern in einer neuen Umgebung war sie für jede Hilfe dankbar. Es war von unschätzbarem Wert für sie, dass es Menschen in ihrer neuen Heimat gab, die ihr die Hand reichten, sie zum Beispiel bei der Wohnungssuche unterstützten und uns Kinder herzlich aufnahmen.
Wie reagiert Ihr Umfeld auf Ihr Engagement?
Oberflächlich reagieren Bekannte und Freunde positiv. Nach längerer Unterhaltung bemerkt man jedoch bei den meisten eine Art unterschwellige Kritik. Viele Leute scheinen überfordert mit der sehr großen Zahl der zu uns Geflüchteten und stehen dem „Fremden“ an sich eher ablehnend gegenüber. Meine Kinder hingegen unterstützen uns uneingeschränkt und freuen sich über unseren Einsatz.
Wie gestaltet sich Ihre Arbeit mit den Flüchtlingen? Wo brauchen Flüchtlinge Hilfe?
Ich begleite die Menschen vorwiegend bei Behördengängen zum Ausländeramt, Sozialamt und zum Jobcenter. Sie tuen sich meist schwer, das System „Sozialstaat“ hierzulande zu begreifen und haben natürlich sprachliche Schwierigkeiten. Ich erläutere den beiden Flüchtlingen, welche Dokumente sie einreichen müssen und wo sie verschiedenste Informationen herbekommen. Jeder Flüchtling befindet sich jedoch in einer anderen Situation und der Helfer muss sich ganz konkret auf diese Situation einstellen.
Anfangs war mir dieser Kontakt mit den deutschen Behörden natürlich ebenfalls fremd und ich ging sehr vorsichtig an die Sache heran. Meine Bedenken waren aber unbegründet, da die Kontaktpersonen in den Behörden zu meiner Überraschung immer hilfsbereit und freundlich waren. Einzig das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist da eine Ausnahme. Die Kommunikation ist langwierig und die Arbeitsprozesse meiner Meinung nach unnötig “bürokratisch” und formal. Und im Gegensatz zu den meisten Ämtern, die hier in Bergisch-Gladbach sind, ist das zuständige BAMF-Büro mehr als 50 km entfernt und Besuche dort sind kaum oder überhaupt nicht erwünscht.
Was ist die aktuelle Situation der Menschen, die Sie betreuen, wie sieht ihr Alltag aus?
Beide Männer besuchen einen Integrationskurs und haben sich bisher auf das Deutschlernen und das Kennenlernen ihres deutschen Umfeldes konzentriert. Beide haben nach ihrem Aufenthalt im Flüchtlingsheim inzwischen eine eigene Wohnung, die gut eingerichtet ist. Sie haben sich hier in Deutschland sehr gut eingefunden und das macht mich sehr zufrieden. Momentan verfolgen beide das Ziel, einen Beruf zu erlernen. Da sie noch nicht genug Anschluss zu Deutschen gefunden haben, spielen natürlich Freundschaften unter den Flüchtlingen eine wichtige Rolle
Wie beurteilen Sie die staatlichen Maßnahmen um Geflüchtete hierzulande zu integrieren?
Ich denke der deutsche Staat tut erheblich mehr, als man von ihm erwarten könnte. Die meisten Behörden sind sehr hilfreich und aufgeschlossen.
Finden Sie die Integration der Zugewanderten als gelungen bzw. realisierbar?
Integration dauert viele Jahre. Beide Seiten müssen die Integration für richtig und wünschenswert halten, sonst funktioniert sie nicht. Wenn sich ein Flüchtling auch nach vielen Jahren noch nicht heimisch fühlt, hängt dies entweder an seiner eigenen Einstellung, dem Verhalten der anderen oder an einer Kombination aus beidem. Primär beruht Integration aber auf der Einstellung und dem Verhalten des Zuwanderers. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – das ist meine Überzeugung.
Glauben Sie an Integration?
Ja, natürlich! Letztlich ist es in einer Zuwanderungsgesellschaft der einzig mögliche Weg zu einer funktionierenden gesellschaftlichen Ordnung. Wer nicht willens ist, sich zu integrieren, sollte freiwillig wieder gehen und sich selbst damit einen Gefallen tun. Ich bin überzeugt, dass jedes fremde Land zu einer zweiten Heimat werden kann. Ich selbst habe mehr als 15 Jahre im außereuropäischen Ausland gelebt und mich da immer sehr wohl gefühlt.
Was ist von den Bürgern gefordert in diesen Zeiten der Zuwanderung?
Der, der helfen kann und will, wird es von alleine tun. Aber selbst die vielen, die nicht aktiv helfen, tun dies doch indirekt über ihre Repräsentanten in der Politik, über die Steuern, die sie zahlen und Einrichtungen wie Schulen, Kirchen und Behörden, die sie damit finanzieren. Diejenigen, die die Hilfe bewusst nicht geben können oder sich gegen die Aufnahme von Geflüchteten aussprechen, haben ihre Gründe. Mit ihren Argumenten muss man sich beschäftigen, auch wenn man sie nicht akzeptieren möchte. Unsere demokratische Grundgesinnung fordert das ein.
Wie empfinden Sie die politische Entscheidung zur Flüchtlingsaufnahme? Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für diese Entscheidung?
Die Entscheidung war sinnvoll und menschlich gesehen die einzig richtige. Sie hätte aber viel besser mit unseren europäischen Nachbarn abgesprochen werden müssen. Mich erstaunt es nicht, dass sich viele Länder dagegen sträuben, Flüchtlinge aufzunehmen, die ihnen aus Deutschland geschickt werden. Das Dubliner Abkommen[1] ist da für mich nicht maßgeblich. Wenn Deutschland offen Flüchtlinge aufnimmt, muss es die Verantwortung dafür auch gänzlich übernehmen.
Was sind die Sorgen und Schwierigkeiten im Alltag der von Ihnen betreuten Menschen? Was gefällt Ihnen an Deutschland? Möchten sie zurück in Ihr Heimat?
Die Freizügigkeit und der Wohlstand überrascht die Flüchtlinge zunächst. Aber sie merken auch sehr schnell, dass dies Kehrseiten hat. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Unsere beiden Schützlinge beschäftigen sich sehr mit ihrer Familie, die in Syrien zurückgeblieben ist. Die Smartphone-Revolution hilft ihnen dabei, mit ihren Lieben in Kontakt zu bleiben. Das macht es ein wenig einfacher. Ein größeres Problem ist es, sich hier in Deutschland „angekommen“ zu fühlen. Da sind die Ausbildungsprogramme und das Berufsleben ein ganz wesentlicher Aspekt. Beide unsere Flüchtlinge wollen in ihre Heimat zurück, aber ich weiß nicht, ob dies auch in wenigen Jahren noch ihr Wunsch ist. In jedem Fall werden wir sie unterstützen, ihre Ziele zu erreichen.
Würden Sie anderen Menschen empfehlen, sich mit Geflüchteten auseinanderzusetzen bzw. sich für sie zu engagieren?
Auf jeden Fall. Man hilft erstens den Flüchtlingen und zweitens lernt man dabei sehr viel – über die Kultur in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, über das eigene Land, über sich selber und über Menschen im Allgemeinen.
Ein Tipp für diejenigen, die eine Patenschaft für einen oder mehrere Geflüchtete übernehmen möchten: Wohin sollten sich Interessierte wenden?
Dort hingehen, wo die Flüchtlingslager sind und einfach die dortigen Helfer ansprechen. Sie wissen, wohin man sich für die ersten Kontakte wenden kann, und wo man am dringendsten gebraucht wird.
Wir bedanken uns herzlich für das Interview und wünschen Ihnen weiterhin viel Energie und Freude bei Ihrem Ehrenamt!
[1] Das Dubliner Abkommen besagt, dass Flüchtlinge in denjenigen Mitgliedsstaat der EU zurückgeschickt werden müssen, in den sie als erstes eingereist sind, und wo ihnen Fingerabdrücke abgenommen wurden (Anmerkung der Redaktion).