Die Journalistin und Diplom-Psychologin Gabriele Birnstein lebt selbst, was sie ihren Klienten rät: „Man sollte nur das tun, was man auch gut aushalten kann.“ Da sie als junge Redakteurin erlebte, wie eine hochgeschätzte Kollegin den beruflichen Druck nur mit Alkohol ertragen konnte, entschied sie sich Mitte der 80er Jahre für einen beruflichen Neustart und studierte Psychologie. Die Frage, warum einige Menschen sich eher selbst zerstören, statt sich zu beschützen und ihre Lebensumstände zu verändern, ließ sie einfach nicht mehr los. Wir haben die Hobbyfotografin bei einem Tischtennis Match kennengelernt und waren begeistert von ihrer Power, ihrem Humor und ihrer Neugier. Kaum zu glauben, aber wahr: Gabriele Birnstein ist eigentlich pressescheu, wie sie uns verraten hat.
Frau Birnstein, wie kommt es, dass Sie offen und gleichzeitig eher zurückhaltend sind?
Es hat lange gedauert bis ich erkannt habe, dass ich gar kein so extrovertierter Mensch bin, wie viele annehmen. Ich würde mich selbst als geschwätzigen Intro bezeichnen (lacht). Das liegt sicher auch an meiner Familiengeschichte. Meine Eltern haben keine glückliche Ehe geführt. Nach Außen sah alles picobello aus, ich bin im Wohlstand aufgewachsen und habe eine tolle Startbahn fürs Leben bekommen. Und ich bewundere meine Eltern, denn sie sind mit 10.000 Mark Schulden aus dem Ruhrgebiet in den Norden gezogen und haben sich richtig hochgearbeitet. Finanziell hat das super gepasst, aber alles andere eben nicht. Als Kind habe ich ungewollt angefangen die ausgleichende Rolle in der Familie zu übernehmen, habe mit allen geredet, gute Stimmung verbreitet und war aus der Not geboren sehr extrovertiert. Dabei entspricht mir das gar nicht. Ich habe mich selbst beobachtet und festgestellt, dass ich auch sehr gern Dinge alleine mache.
Sie besuchten ab 1987 die Münchener Journalistenschule und bekamen sofort nach der Ausbildung einen festen Job bei der Frauenzeitschrift Brigitte angeboten.
Das Tolle am Journalismus: Man erfährt so viel, bekommt so viel Wissen, lernt so viele verschiedene und interessante Menschen kennen. Aber nach fünf Jahren Brigitte als Redakteurin im Ressort Psychologie merkte ich, dass sich viele Themen immer wiederholen und die Brigitte auch nicht der Platz war, um dabei sehr in die Tiefe zu gehen. Deshalb habe ich den sicheren Job mit Betriebsrente gegen einen Platz an der Universität eingetauscht. Und ganz ehrlich, ich bin und war auch nie eine typische Frauenzeitschriftenleserin.
Sie hätten während Ihrer Zeit bei der Brigitte auch zum Fernsehen wechseln können. Zur Geburtsstunde des Privatfernsehens hatten Sie ein Angebot von RTL. Warum haben Sie das abgelehnt?
Der Privatsender RTL hatte damals noch nicht genug Sendematerial und so gab es einen Tag mit der Frauenzeitschrift Brigitte. Alle Ressorts waren gefragt und für den Sport wurde damals ich zu einem Live Interview nach Luxemburg geschickt. Ich war dann so gut vor der Kamera, dass ich drei Tage später ein Stellenangebot auf meinem Schreibtisch hatte. Ich war total stolz auf mich, aber gleichzeitig wusste ich sofort, dass ich ablehnen werde, da ich mich vor und während meines Auftrittes innerlich ganz schrecklich gefühlt habe. Und ich habe bis heute nicht bereut diesen Traumjob abgelehnt zu haben. Aus eigener Erfahrung wusste ich damals schon, dass der Konkurrenzdruck in den Medien besonders hoch ist und das kann ich überhaupt nicht leiden.
Ich arbeite gerne an Dingen, die mich interessieren und mir Freude machen, aber ich möchte nicht gegen Kollegen antreten und mit Ihnen um den besseren Job kämpfen müssen. Deshalb bin ich heute auch selbstständig und das empfinde ich als puren Luxus.
Sie haben dann mit Anfang 30 Psychologie studiert. Warum haben Sie nach dem Studium nicht als Psychotherapeutin gearbeitet?
Schon während meiner Studienzeit betrug die Wartezeit auf einen Therapieplatz 3-6 Monate und das ist bis heute so. Das fand und finde ich unmöglich. Dabei weiß eigentlich jeder: Jede Krise braucht schnelle Hilfe, aber nicht jede Krise braucht auch gleich eine Therapie! Außerdem vertragen sich Problemgespräche mit einer strikten Zeitbeschränkung meiner Meinung nur sehr schlecht, aber eine Therapiesitzung dauert nun mal nur 50 Minuten und basta. Ich coache zwei Zeitstunden hintereinander und damit kommen wir viel weiter voran und haben dabei nicht ständig die Uhr im Nacken sitzen. Dann können die Pausen zwischen den Sitzungen auch gerne länger sein, das entscheidet der Klient aber ganz allein.
Damit konnten Sie aber nicht reich werden wie Ihr Vater, der Sie viel lieber als erfolgreiche Printjournalistin gesehen hätte.
Ich habe keine großen Wünsche und fühle mich trotzdem sehr reich. Ich fahre seit Jahren einen A3 mit schwarzen Ledersitzen und Sportfelgen und finde dieses Auto immer noch sexy. Mein Vater hat sich immer über seinen aktuellen Mercedes und sein Vermögen definiert, aber das hat seine Ehe nicht glücklicher gemacht. Zu meinem großen Glück habe ich meinen Traummann gefunden: Seit 24 Jahren lebe ich sehr glücklich mit dem Niederländer René Verkaart zusammen.
Und Geld bedeutet für mich in erster Linie Sicherheit, ich möchte nie Schulden haben. Jeder muss für sich herausfinden, was wirklich wichtig ist und ob es tatsächlich die eigenen Bedürfnisse sind oder die gut gemeinten Wünsche von Vater oder Mutter. Wir alle haben diese Fingerabdrücke unserer Eltern auf uns und wir alle werden vom jeweiligen Zeitgeist mit seinen wechselnden Moden gegängelt. Da ist die Reise zu sich selbst manchmal ganz schön anstrengend. Ich denke, sie wird sogar immer beschwerlicher, weil durch das Internetzeitalter immer mehr und alles immer schneller auf uns einstürmt.
Ist es möglich, sich zu verändern?
Ja, aber die wichtigste Voraussetzung dafür ist der unbedingte Wille auch etwas ändern zu wollen. Ich sage dann gerne: “Wenn Sie sich verändern, verändert sich alles andere auch.” Wir sind unser Leben lang lernfähig, aber spätestens ab 30 ist unsere Persönlichkeit soweit ausgebildet, da ist nicht mehr viel dran zu rütteln. Meine Aufgabe ist die Spiegelung, denn bei den meisten Menschen gibt es eine Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Dazu mein Lieblingssatz: Wer drinnen sitzt, kann nicht von draußen gucken! Mein Lieblingswort im Coaching ist die Passung. Jeder Mensch sollte im Leben versuchen, die richtige Passung zu finden. Das gilt für den Partner, für die Freunde, die Kleidung, die Ernährung, den Sport. Wir sind nun mal einzigartig, kein Mensch gleicht dem Anderen (Ausnahme sind die eineiigen Zwillinge). Das bedeutet auch, dass es keine Patentrezepte gibt, jeder muss seinen Lebensweg selber finden.
Da Ihr Beruf so gut zu Ihnen passt: Denken Sie überhaupt daran, in Rente zu gehen?
Nein, das hat für mich keine Bedeutung. Ich war fünf Jahre als Redakteurin angestellt und danach nie mehr. Ich bin nicht festgeschraubt in irgendeinem Büro und warte darauf, dort nicht mehr jeden Tag hingehen zu müssen. Ich bin 24 Stunden lang Psychologin und das sehr gerne, denn ich liebe die Menschen. Deshalb schalte ich auch nicht ab, wenn ich ein Coaching hinter mir habe und gebe in meiner Freizeit Freunden und Bekannten keinen schlechteren Rat. Ich finde es für alle Berufe, die mit Menschen zu tun haben, enorm wichtig, auch selber so zu leben, wie man es anderen darstellt. Also mit Heinrich Heine gesagt: Nicht „…öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken“!
Was treibt Sie an und motiviert Sie?
Ich verfüge über eine unstillbare Neugier. Es gibt nichts Spannenderes als die Lebensgeschichten von Menschen, wie sie mit Schwierigkeiten umgehen und wie verschieden sie reagieren, das ist faszinierend. Seit es uns Menschen gibt, haben sich unsere Gefühle angeordnet zwischen Liebe und Hass nicht verändert. Sie unterscheiden sich bei allen Menschen nur in ihrer Ausprägung, aber es gibt kein völlig neues Gefühl. Aber unsere Umwelt verändert sich dafür umso mehr und mit ihr der Impact, mit dem der Mensch umgehen muss. Ich glaube, dass wir in einer Übergangsphase leben und noch nicht sehr gut dafür gerüstet sind, weshalb zum Beispiel der Anteil der psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz enorm zugenommen hat, obwohl das Leben heute angeblich so viel leichter geworden ist.
Verändern sich die Gefühle im Laufe des Lebens?
Älter werdenden Menschen heute so etwa ab 60 werden oft die Intensität der Gefühle abgesprochen. Dabei bleiben sie immer gleich, egal wie alt wir sind. Eine Plattform wie 59plus spricht mich an, weil sie genau das berücksichtigt. Es gibt Probleme in jedem Alter, der Körper altert, aber unsere Gedanken und Gefühle bleiben oft erstaunlich jung.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Birnstein!