Ein berührendes Gedicht macht zurzeit die Runde in den sozialen Medien. Es ermutigt, hinter die Fassade des Alters und der Hilfsbedürftigkeit zu blicken. Denn hinter der schwachen und ermatteten Fassade liegt auch immer ein junger Mensch verborgen.
Die englische Zeitung „Sundaypost“ hat das Gedicht bereits vor mehr als 40 Jahren veröffentlicht. Sein Ursprungsort blieb lange ungeklärt. Es hieß, dass es ein alter Mann, der in einer australischen Pflege-Einrichtung versorgt wurde, hinterließ. Nun kam ans Licht, eine Krankenschwester der Geriatrie-Abteilung eines schottischen Krankenhauses hat es in den Sechzigern verfasst.
Das macht die tief ergreifenden Zeilen jedoch nicht weniger wertvoll. Die Dame hat sich äußerst gefühlvoll in die Situation der Pflegebedürftigen begeben: Die Verse rühren an, hier und da mag sich eine Träne auf die Wange des Lesers schleichen.
Deshalb erlangte das Gedicht wohl auch eine solche Berühmtheit im Netz – es ergreift einen, nimmt einen mit auf die Reise ins Alter und das Gefangensein in der Bedürftigkeit. Gleichzeitig führt es dem Leser vor Augen, wie kostbar die Lebenszeit ist.
In diesem Sinne: Genießen Sie jeden Augenblick, den Sie aktiv erleben können!
Für alle, die noch nicht in den Genuss gekommen sind, das Gedicht zu lesen, schreiben wir es hier nochmals nieder.
Der griesgrämige alte Mann (The Cranky Old Man)
Was seht ihr, Krankenschwestern? Was seht ihr?
Was denkt ihr, wenn ihr mich anschaut?
Einen griesgrämigen alten Mann, nicht sehr weise,
Seiner Gewohnheiten nicht sicher, mit abwesendem Blick,
Der mit seinem Essen kleckert und keine Antwort gibt,
Wenn ihr mit lauter Stimme sagt: „Ich wünschte, Sie würden sich mehr anstrengen!“,
Der nicht zu bemerken scheint, was ihr tut
Und ständig seinen Socken oder Schuh verliert?
Der, widerstrebend oder auch nicht, euch machen lässt, was ihr wollt,
Beim Tag-ausfüllenden Baden und Füttern.
Ist es das, was ihr denkt? Ist es das, was ihr seht?
Dann öffne deine Augen, Krankenschwester – du schaust mich an!
Ich werde dir sagen, wer ich bin, derweil ich hier ganz still sitze,
Derweil ich mich nach euren Bitten richte, derweil ich nach eurem Willen esse.
Ich bin ein kleines Kind von zehn Jahren mit einem Vater und einer Mutter,
Brüdern und Schwestern, die einander lieben,
Ein Junge von sechzehn Jahren mit Flügeln an seinen Füßen,
Der träumt, dass er jetzt bald eine Liebende trifft,
Ein Bräutigam von bald zwanzig Jahren – mein Herz macht einen Sprung,
Die Schwüre erinnernd, die ich zu halten versprach
Mit fünfundzwanzig habe ich jetzt selbst einen Jungen,
Der meine Führung braucht, und ein sicheres glückliches Zuhause.
Ein Mann von dreißig Jahren, meine eigenen Jungen so schnell, gewachsen,
Einander verbunden mit Banden, die halten sollten.
Mit vierzig sind meine jungen Söhne erwachsen gewesen und weg gegangen,
Doch meine Frau steht mir zur Seite und achtet darauf, dass ich nicht trauere.
Mit fünfzig, spielen Babys zu meinen Füßen – wieder einmal
Erneut kennen wir Kinder… Meine geliebte Frau und ich.
Dunkle Tage liegen schwer auf mir, meine Frau ist jetzt tot.
Ich schaue mir die Zukunft an – ich erschauere vor Angst,
Denn meine Jungen ziehen alle selbst Kinder auf.
Und ich denke an die Jahre und die Liebe, die ich gekannt habe.
Jetzt bin ich ein alter Mann und die Natur ist grausam.
Es ist ein Witz, der das Alter einen wie einen Narren aussehen lässt,
Der Körper – er zerbröckelt, Anmut und Vitalität gehen dahin,
Es ist jetzt ein Stein, wo einst ein Herz ich hatte.
Doch innerhalb dieses alten Kadavers haust noch immer ein junger Mann,
Und dann und wann schwillt mein ramponiertes Herz an.
Ich entsinne mich der Freuden, ich erinnere mich an den Schmerz,
Und ich liebe und lebe das Leben noch einmal.
Ich denke an die Jahre, viel zu wenige, viel zu schnell vorbei,
Und akzeptiere die harte Wahrheit, dass nichts ewig bestehen kann.
Also, öffnet eure Augen, Leute – öffnet sie und seht
Keinen griesgrämigen alten Mann.
Schaut genauer hin… seht… MICH!!