Können kleine Kinder noch nicht richtig laufen, finden wir sie niedlich. Gerne nehmen wir sie an die Hand und begleiten sie auf ihren ersten Schritten. Sind sie etwas älter, bekommen sie selbstverständlich ein Laufrad und später Stützräder an ihr Fahrrad geschnallt. Niemand kommt auf den Gedanken, dass die lieben Kleinen unselbstständig sind. Sie brauchen Hilfe und sie bekommen Hilfe. Im Alter und bei Krankheit ist die Situation ähnlich. Der Kopf funktioniert noch bestens, aber die Muskelkraft lässt nach und die Gelenke fangen an, sich zu beschweren. Die Eitelkeit vieler Menschen verbietet zunächst, Hilfsmittel wie ein Hörgerät, einen Gehstock, einen Rollator oder einen Treppenlift einzusetzen. Erst wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt, werden die Geräte murrend akzeptiert.
Warum eigentlich? Lehnen wir selbst die Unterstützung ab oder fürchten wir das Urteil unserer Umwelt. Haben wir Angst vor dem Stempel „alt und gebrechlich“ zu sein oder schämen wir uns?
Vorteile pflegen oder bekämpfen
Ist unsere Gesellschaft so oberflächlich, dass andere sofort in einer Schublade verschwinden? Übergewicht kann viele Ursachen haben, dennoch denken manche Menschen unwillkürlich, dass ihre dicken Mitbürger faul sind. Wenn wir ehrlich sind, haben wir solche oder ähnliche Gedanken schon gehabt. Dabei waren Wohlbeleibte nicht immer Opfer von Diskriminierung: In früheren Zeiten wurde ein dicker Bauch mit Wohlstand und Erfolg gleichgesetzt. Die Liste lässt sich mit Blondinen oder Lehrern beliebig fortsetzen. Wir sollten daran arbeiten, Stereotypen und Vorurteile aus unserem Kopf zu verbannen. Jeder Mensch ist ein Individuum und auch nicht alle Senioren sind gleich. Deshalb sind Schönheitsideale gefährlich. Erklären wir junge, sportliche und schlanke Menschen mit einem hübschen und faltenfreien Gesicht zum Schönheitsideal, ist der Umkehrschluss, dass alte Menschen nicht hübsch sein können. Doch heißt es nicht umsonst, dass Falten das gelebte Leben verkörpern. Die Gesichter alter Menschen sind unglaublich interessant und anziehend – und damit schön.
Mit der fortschreitenden Überalterung der westlichen Nationen ist es Zeit für ein neues Bild des Alters. Das Museum für Weltkulturen am Frankfurter Museumsufer hat dem Motto „Grey is the new Pink“ eine ganze Ausstellung gewidmet. Mit großer Vielfalt wird deutlich, dass es sehr unterschiedliche Lebensentwürfe bei Senioren gibt.
Mit einem mutigen Schritt Hilfsmittel annehmen
Verzichten wir auf sinnvolle Hilfsmittel, schränken wir uns unnötig ein. Wer nicht mehr sicher zu Fuß ist, aber den Rollator ablehnt, geht weniger oft aus dem Haus. Klappt das Hören nicht mehr gut, aber derjenige möchte kein Hörgerät anwenden, scheut der Mensch Begegnungen, insbesondere in Gruppen. Im Extremfall wird es gefährlich, wenn der Verzicht auf Stock oder Rollator zu Stürzen führt.
Mitunter spielt die Angst eine Rolle, künftig von einem Hilfsmittel abhängig zu sein – und schlimmstenfalls mit diesem nicht zurechtzukommen. Deshalb ist es wichtig, sich beraten zu lassen. Doch wer kann guten Rat geben? Sind es die Experten im Sanitätshaus oder dem Hörgeräteladen – oder eher andere Anwender? Besonderes Vertrauen schenken die Menschen oft Gleichgesinnten, die selbst vor dieser Entscheidung standen. Wer einen Treppenlift nutzt, kann besonders glaubwürdig berichten, wie er damit im Alltag zurechtkommt.
Mit Geduld auf die Hilfsmittel einstellen
Auch gilt es Ausdauer zu beweisen, denn selbst das beste Hilfsmittel ist zunächst neu und funktioniert nicht ab dem ersten Tag einwandfrei. Wer schon vorher kritisch eingestellt war, neigt leicht dazu, vorschnell die Flinte ins Korn zu werfen. Ist Technik im Spiel, wie bei einem Hörgerät, muss der richtige Umgang zunächst erlernt werden. Ähnliches kennen Brillenträger von ihrer ersten Gleitsichtbrille.
Geduld müssen häufig die Angehörigen unter Beweis stellen. Sie können zwar einen Hinweis geben, wenn Sie ein Hilfsmittel für angebracht halten, sollten die Entscheidung darüber aber den Eltern, Schwiegereltern oder Großeltern überlassen. Wer sich bevormundet oder gar entmündigt fühlt, freundet sich weniger leicht mit dem Hilfsmittel an.
Was sollte die Gesellschaft tun?
Unser Bild vom Alter und vom selbstbestimmten Leben im Alter ist im Wandel begriffen. So individuell der Mensch in mittleren Jahren lebt, so möchte er auch seine letzten Lebensjahre verbringen. Die technische Entwicklung im Zuge der Digitalisierung führt zu Hilfsmitteln, die den Menschen weder passiv machen noch entmündigen. Vielmehr können digitale Sprachassistenten wie Alexa & Co. das aktive und selbstbestimmte Leben in der eigenen Wohnung verlängern.
Die Bevölkerung wird älter und der medizinische Fortschritt schreitet voran. Auch Menschen, die im Alter schon lange oder gar zeitlebens mit einer Behinderung leben, haben spezifische Bedürfnisse. Im Rahmen der Inklusion dürfen wir daher nicht nur an Kinder denken, die mit einer Behinderung in die Regelschule kommen, sondern auch an alte Menschen. Diese sollten wir nicht als hilflose Greisen ansehen, sondern als Menschen, die altersbedingt an mancher Stelle Unterstützung benötigen.
Wichtig ist dabei, dass wir als Gesellschaft umdenken und neu auf alte Menschen schauen. Statt einen Gehstock, Treppenlift oder Rollator als Einschränkung zu sehen, sollten wir solche Hilfsmittel lieber als das sehen, was sie sind. Eine Möglichkeit, trotz gesundheitlicher Einschränkungen, weiter Teil der Gesellschaft zu sein, soziale Kontakte zu pflegen und in der gewohnten Umgebung zu leben. Soziale Kontakte verhindern Einsamkeit und bewirken noch viel mehr.
Was kann die Politik tun?
Eine britische Langzeitstudie belegte vor einigen Jahren, dass Einsamkeit im Alter sogar als gesundheitsschädlich gilt. Mittlerweile gibt es in Großbritannien deshalb eine Ministerin für Einsamkeit. Vielleicht ist das ein gutes Vorbild für Deutschland und auch bei uns sollte die Politik das Thema aufgreifen. Selbst wenn dafür neue Stellen geschaffen und Kampagnenbudgets bereitgestellt werden, könnte das Geld an anderer Stelle eingespart werden. Gehen glückliche, aktive und sozial eingebundene Menschen weniger oft zum Arzt und werden seltener krank, spart das Gesundheitssystem Kosten. Wer für seine sozialen Aktivitäten eine Unterstützung benötigt, braucht auch den nötigen Anstoß, um diese in Anspruch zu nehmen.
Die Politik ist gefragt, wenn es darum geht, wer sich im Alter was leisten kann. Vom Gedanken einer inklusiven Gesellschaft ausgehend, sollte ein gut funktionierendes Hörgerät, die passende Brille oder ein Treppenlift nicht an der zu schmalen Rente scheitern. Ansätze sind gefragt, mit denen die nötigen Hilfsmittel für ältere Menschen bezahlbar bleiben, ohne dass sie zu Bittstellern bei ihrer Krankenkasse oder dem Sozialamt werden.