In Rente zu gehen, ist für die Schauspieler Hansjürgen Hürrig und Ruth Reinecke unvorstellbar. Seit Jahrzehnten stehen sie mit Humor und großem schauspielerischen Können auf der Bühne und vor der Kamera. In der Komödie “Mit der Tür ins Haus” (am 2. Mai um 20:15 Uhr im ZDF) spielen sie ein Paar, das mit allerlei Turbulenzen zu kämpfen hat – mit Feingefühl und viel Sinn für Situationskomik.
Sie haben schon oft zusammen gespielt, unter anderem waren Sie lange Jahre Kollegen am Berliner Maxim-Gorki-Theater. Haben Sie sich für den aktuellen Film gemeinsam auf Ihre Rollen vorbereitet?
Ruth Reinecke: Bei einer Leseprobe haben wir uns ausgetauscht und angetestet, was das für ein Paar werden kann, wenn wir es zusammen spielen. Aber die Absichten und Charaktere der Figuren sind sehr unterschiedlich und die eigene Rolle für sich zu entwickeln ist eine Arbeit, die man allein macht.
Hansjürgen Hürrig: Ich versuche immer zunächst allein für mich zu klären, was zu tun ist. Eine Leseprobe bringt viel, weil man weiß, wer mitspielt und was auf einen zukommt. Aber ich bereite mich letztlich immer allein auf eine Rolle vor. Die Themen im Film haben nichts mit dem Alter zu tun, sondern das geht durch alle Altersstufen und quer durch die Gesellschaft. Der Film ist eine Komödie, der die Probleme schildert, die in einer Familie vorkommen und mit denen sich die Zuschauer identifizieren können.
Herr Hürrig, Sie spielen die Rolle von Ehemann, Vater und Großvater Wolfgang, der versucht seine Demenzkrankheit vor seiner Familie geheim zu halten. Wie sind Sie mit dem Thema umgegangen?
Hansjürgen Hürrig: Man muss mit viel Können und viel Feingefühl an so eine Rolle rangehen. Und mit Bescheidenheit, damit es wahrhaftig wird und viele Leute sagen können: Mensch, das ist ja genauso wie bei meinem Nachbarn. Wenn man so eine Situation übertrieben darstellt, dann schalten die Leute ab, weil es eine Komödie im schlechten Sinne wird.
Ruth Reinecke: Dafür ist das Thema auch zu sensibel, weil es immer mehr Menschen betrifft, nicht nur ältere, sondern auch jüngere Menschen. Demenz und Familie ist ein Thema, was sehr viele Menschen bewegt. Auch ich kenne Paare, die betroffen sind. Was für eine menschliche Herausforderung! Zunächst das Erkennen der Krankheit, sowohl für den Kranken, als auch für die nächsten Angehörigen. Die Akzeptanz und die konkreten Schritte. Gerade die Angehörigen leisten wirklich viel – und das 24 Stunden am Tag. Sie verdienen unsere Anerkennung. Ich glaube, je mehr man darüber offen redet (und das ist nicht so einfach), desto besser für alle. Durch viele Beispiele in den Medien wird es zunehmend ein akzeptiertes Thema. Und das ist wichtig. Schwer genug ist es allemal. Es gibt sehr unterschiedliche Formen von Demenz. Jede Persönlichkeit ist anders gestrickt und geht unterschiedlich damit um. Wir brauchen einen angstfreien Umgang von Offenheit, Respekt und Zuwendung miteinander.
Hansjürgen Hürrig: Eine Demenz-Krankheit hat auch einen komischen Aspekt, das kann man nicht leugnen. Das ist ein schmaler Grad, auf dem man da wandert. Ich kann mich an einen Film erinnern, in dem Peter Simonischek eine Szene im Bad spielt, wo er sich zum Schlafengehen fertig macht. Er steht in seinem Feinrippunterhemd vor dem Spiegel und man sieht, wie er fieberhaft überlegt, was er noch dafür machen muss. Und dann nimmt er seinen Kamm, macht schön dick Zahncreme darauf, geht damit durch seine Haare und ruft zu seiner Frau, die schon im Schlafzimmer auf ihn wartet: “Bin fertig, ich komme”. Das hat etwas Tragisches und Komisches zugleich.
Ist für Sie Humor ein Weg, um mit den Begleiterscheinungen des Alters besser umgehen zu können?
Hansjürgen Hürrig: Humor hilft dabei enorm. Aber Humor hat auch nichts mit dem Alter zu tun. Humor ist eine Sache, die das ganze Leben hoffentlich begleiten sollte. Ich halte es mit Otto Julius Bierbaum, der es so gesagt hat “Humor ist, wenn man trotzdem lacht”. Ein ganz alter Spruch, den jeder kennt. Es ist die reine Wahrheit. Humor ist immer die Brücke zu einer guten Kommunikation.
Ruth Reinecke: Dem kann ich nichts mehr hinzufügen.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie auch bei den Dreharbeiten viel gelacht haben?
Ruth Reinecke: Das ist eine Grundhaltung, die ganz wichtig ist.
Hansjürgen Hürrig: Um gut im Team arbeiten zu können, braucht es eine Lockerheit und einen guten Kontakt mit den anderen. Da ist ein Witz oder ein flotter Spruch immer angebracht.
Sie arbeiten seit Jahrzehnten erfolgreich in Theater, Film und Fernsehen. Wenn Sie zurückblicken, wie hat sich Ihre Arbeit verändert?
Hansjürgen Hürrig: Theaterarbeit ist etwas ganz anderes als bei Film und Fernsehen. Ich spiele seit zwei Jahren kein Theater mehr, aber ich weiß, dass wir uns früher am Theater viel mehr Zeit genommen haben. Und so ist es auch beim Film. Wo früher ein Film mit 40 Drehtagen geplant war, sind es heute vielleicht 25-30 Drehtage.
Ruth Reinecke: Ich finde auch, dass Zeit die größte Veränderung ist. Es muss alles schneller gehen, auch die Techniken haben sich verändert. Dadurch erhöht sich der Druck und wächst die Herausforderung, gut vorbereitet an ein Set zu kommen. Und es ist wichtig, schnell und vertrauensvoll miteinander zu arbeiten, damit so viel Zeit wie möglich produktiv genutzt werden kann. Auch beim Theater spielt die Schelllebigkeit der Zeit eine riesengroße Rolle, das versucht, alle neuen Einflüsse aufzunehmen. Die größte Veränderung ist, dass man weg vom klassischen Rollenbild gekommen ist. Man versucht auf der Bühne komplexere Zugriffe zur Gesellschaft zu erzählen. Ob das immer gut ist, sei dahingestellt. Und dann freut man sich, wenn ein Regisseur sagt, wir spielen das jetzt mal nach dem Originaltext. Dann bin ich auch sehr glücklich.
Hansjürgen Hürrig: Ich bin nicht für ein Theater mit viel Video und Performance. Das ist die Aufgabe des Films und des Fernsehens, die das viel besser können. Theater muss für mich noch mehr zurückgehen bis hin zur Windmaschine, die im Hintergrund per Hand gedreht wird. Es geht um die Imagination von Theater! Ich kann mich als Kind erinnern, dass es geblitzt und gedonnert hat auf der Bühne.
Ruth Reinecke: Die Imagination wird heute ganz anders hergestellt. Und das schläfert die Fantasie des Zuschauers ein bisschen ein. Ich erinnere mich an meine erste Aufführung als Kind im Maxim Gorki Theater, das war eine Aufführung von Schneewittchen. Ich werde nie vergessen, wie die Schauspielern von Schneewittchen in den Apfel gebissen hat und nach hinten kerzengrade umgefallen ist. Heute ist das für mich ein magischer Moment, weil man ja physisch nacherleben kann, dass das wehgetan haben muss. Aber die Schauspielerin hat sich am Schluss locker verbeugt. Das geht leider heute ein wenig verloren.
Hansjürgen Hürrig: Für mich hat sich durch das Alter und die Lebenserfahrung verändert, dass ich in einem Fundus von Dingen wühlen kann, die ich alle schon erlebt habe und das macht vieles einfacher. Ich habe kein Lampenfieber oder Ängste mehr. Im Gegenteil. Ich lerne Texte viel leichter als früher, weil ich die Zusammenhänge viel besser begreife und dazu Bilder im Kopf habe. Es wird für mich eher einfacher, Schauspieler zu sein, umso älter ich werde.
Dann bietet Ihnen Ihre Lebenserfahrung mehr Freiheit bei der Arbeit?
Ruth Reinecke: Auf jeden Fall! Man fällt nicht mehr überall drauf rein. Man hat ein gutes Reservoir an Erfahrungen und man weiß relativ früh, wo der Hase hin läuft. Und dann liegt es ja einem selbst, ob man mitläuft oder ob man mal einen Haken schlägt. Das macht es spaßig und spannend.
Mit anderen Worten, Sie denken nicht daran in Rente zu gehen?
Ruth Reinecke: Nein, das wäre schrecklich.
Hansjürgen Hürrig: Das ist das Beste an dem Beruf, dass man nie in Rente gehen muss.
Ruth Reinecke: Das ist ein Privileg. Es ist ganz reizvoll auszuloten, was an vitalem Leben ab 60 vorhanden ist. Das sind ja Schätze, die man spielerisch heben kann.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Wenn Sie den Film verpasst haben, können Sie ihn sich jederzeit in der ZDF Mediathek anschauen. Viel Spaß!