Im Rahmen unseres Formates “Vom Leben und vom Sterben” möchten wir natürlich auch Betroffenen oder Angehörigen die Möglichkeit geben sich zum Thema Tod zu äußern. Deswegen freuen wir uns sehr, heute die Geschichte von Marthe B.* (75) veröffentlichen zu dürfen, die bis zu ihrer Erkrankung ein sportlich aktiver und fröhlicher Mensch war. Mitte März 2018 erhielt sie dann die niederschmetternde Diagnose: Speiseröhrenkrebs. Seitdem kämpft die Bochumerin gegen die Krankheit. Ihr Credo: Die kleinen Glücksmomente genießen und nie die Hoffnung aufgeben.
Hallo Marthe, seit der Diagnose mussten Sie sich einer Strahlentherapie unterziehen, alle vier Wochen müssen Sie zur Chemo. Wie stehen Sie das durch?
Bei der Strahlentherapie musste ich ganz ruhig liegen. Da ich seit eineinhalb Jahren Yoga mache, habe ich die ganze Zeit meditiert und es gut überstanden. Auch während der Bestrahlung und Chemo habe ich weiter Yoga gemacht, ganz moderat natürlich, so wie es für mich körperlich möglich war. Dazu gehören auch Meditationsübungen, die ich bei den Untersuchungen angewandt habe. Das hat mir sehr geholfen.
Was hat sich mit der Erkrankung verändert?
Ich habe früher viel Sport gemacht. Ich bin im Schwimmverein und jede Woche 1-2 Mal meine Bahnen geschwommen. Dann kam Yoga dazu und ab und zu bin ich noch Nordic Walking mit einer Freundin gegangen. Das war mein großes Glück, weil mein Körper Muskeln aufgebaut hatte, er war gestrafft. Man verliert ganz viele Muskeln durch die Strahlen und die Chemo. Jetzt ist alles schlapp, aber wenn man so krank ist, ist das alles Nebensache. Auch mit meinen grauen Haaren komme ich gut klar, die ich vorher alle drei Wochen braun gefärbt habe. Das bin jetzt ich, wenn ich in den Spiegel gucke. Färben darf und will ich auch gar nicht mehr.
Sie sehen toll aus, die Krankheit sieht man Ihnen nicht an. Sprechen Sie offen über den Krebs?
Ja, unbedingt. Man muss an sich arbeiten. In Hinblick auf weitermachen und darüber reden. Ich habe mit meinem ganzen Freundeskreis viel über meine Erkrankung gesprochen und auch geweint. Das hat mir sehr gut getan. Manchmal habe ich den Satz gehört – und den finde ich ganz schlimm – „Wir müssen alle mal sterben“. Das war so schrecklich zu hören, weil ich ja durch meine Krankheit wahrscheinlich eher sterbe, worüber ich mir im Klaren bin.
Wissen Sie, wie lange Sie noch leben werden?
Ich habe die Ärzte gefragt, wie hoch meine Lebenserwartung ist. Das konnte mir keiner sagen, vielleicht nur noch drei Monate, ein Jahr, wenn ich Glück habe fünf Jahre. Jetzt lebe ich jeden Tag, als wäre es mein Letzter. Mein Haus ist bestellt. Ich habe sogar aufgeschrieben, was gesagt werden soll bei meiner Beerdigung. Das gibt mir Halt und beruhigt mich. Ich bin glücklich und auch zufrieden, wenn ich keine Schmerzen habe und den Krebs für einige Zeit vergessen kann. Trotz allem.
Was haben Sie für Gedanken, wenn Sie an den Tod denken?
Ich weiß, dass ich stark bin und voller Hoffnung, dass mir noch einige Zeit bleibt. Mit meinem Mann bin ich zu einem Waldfriedhof gefahren, wo uns ein Förster die Bäume gezeigt hat, unter denen man sich mit einer Urne begraben lassen kann. Ich fand es so schön, mir vorzustellen, unter dieser wunderbaren großen Buche zu liegen, die mein Mann und ich uns ausgesucht haben. Jetzt weiß ich ganz genau, wo ich nach meinem Tod hinkomme. An diesem Tag haben wir geweint und gelacht, es war sehr emotional.
Wie finden Sie Trost?
Es hat mich ungemein getröstet, dass ich unter diesem Baum liegen werde. Die Urne zersetzt sich im Laufe der Zeit und ich habe mir vorgestellt, dass ich vielleicht als Gänseblümchen wiederkomme. Man weiß es ja nicht. Ich glaube daran, dass es weitergeht und da oben einer die Fäden in der Hand hat. Das ist auch sehr tröstlich für mich.
Meine Krebserkrankung hat mir viele andere Gedanken beschert, auch über das Leben und wie unachtsam man damit umgeht und man alles so selbstverständlich nimmt. Man lebte so in den Tag hinein und jammerte über dies und jenes auf hohem Niveau. Heute bin ich dankbar, wenn ich kochen kann und dann schaue ich mich um und denke, wie schön ich es zu Hause habe. Alles Dinge, die ich vorher nicht so wahrgenommen habe. Ich bin dankbar für jeden Tag.
Wie schaffen Sie es, nicht die Hoffnung zu verlieren?
Natürlich habe ich auch meine hoffnungslosen Momente. Aber es gibt vieles, was mir die Kraft gibt, immer weiterzumachen. In unserem letzten Urlaub waren wir am Meer. Das Schwimmen war toll und ab und zu habe ich Yoga gemacht. Bei der Übung „Die Kämpferin“ habe ich über das Meer geguckt und gesagt:„Du Biest kriegst mich nicht“. Das gibt mir Kraft. Auch meine Familie und meine Freunde und Freundinnen. Und ich gehe zweimal in der Woche zu einer Psychologin, mit der ich reden kann und die mir praktische Tipps gibt. Beim letzten Mal hat sie mir Übungen gezeigt, um mich zu beruhigen, wenn ich nicht gut schlafen kann.
Was möchten Sie anderen Menschen in einer ähnlichen Situation mit auf den Weg geben?
Man muss immer in Bewegung und neugierig bleiben. Dann ist das Leben schön und interessant. Es ist auch wichtig, auf die Ärzte zu hören und zum Beispiel zur Psychotherapeutin zu gehen. Auch wenn es Überwindung kostet. Letztlich tut man die Dinge für sich und jeder weiß selbst am Besten, was ihm guttut. Die kleinen Glücksmomente wahrzunehmen und zu genießen, ist ganz wichtig. Gebt nie die Hoffnung auf und glaubt an euch und eure innere Kraft!
Vielen Dank für das Gespräch!
* Name von der Redaktion geändert
Anmerkung der Redaktion: Wir wünschen Marthe B. von Herzen noch viele dieser kleinen Glücksmomente und möchten uns auf diesem Weg für ihren offenen Umgang mit ihrer Geschichte bedanken!