Wie so oft im Leben kommt es anders als wir denken. Bei Katharina Martini war es eine schwere Erkrankung, die sie und ihr Leben verändert hat. Die erfolgreiche Designerin entdeckte ihre Leidenschaft für die Natur und die Literatur, die sie bei Veranstaltungen von “Lesen im Loft” mit ihren Zuhörern teilt. Uns hat die 59-Jährige von ihren Träumen erzählt und was Erfolg für sie heute bedeutet.
Frau Martini, fangen wir mal ganz von vorne an. Vor 36 Jahren haben Sie Ihre Karriere als Designerin gestartet.
Ja, meinen ersten Job in einer Werbeagentur hatte ich 1984. Schon damals kristallisierte sich heraus, dass ich gar nicht an diesen riesigen Werbeetats interessiert war und bin. Ich habe unheimlich gerne die kleineren Sachen gestaltet und war diejenige, die sich gemeldet hat, wenn es darum ging, eine Streichholzschachtel zu designen. Ob großer oder kleiner Etat, ich habe immer dasselbe Herzblut reingelegt. Das ist etwas, was ich mit in meine Karriere als selbstständige Designerin genommen habe, indem ich immer gesagt habe, Kleinvieh macht auch Mist.
2011 sind Sie an Brustkrebs erkrankt. Wie hat das Ihr Leben verändert?
Ich persönlich habe es genannt “Neue Wege finden”. Ich weiß gar nicht, ob ich mich neu erfunden habe. Ich würde sagen, dass ich mehr Achtsamkeit mir gegenüber entwickelt habe. Die Krankheit kam aus einer Stresssituation heraus, wo ich ganz klar auch vorher schon merkte, dass ich nicht mehr kann. Ich war lange Jahre mehr oder weniger alleinerziehend und habe in der Zeit meine Selbstständigkeit aufgebaut.
Durch mein kommunikatives Wesen war ich sehr erfolgreich und habe aber nicht gemerkt, dass die Mehrfachbelastung doch weit über meine Grenzen ging. Der ständige Wechsel zwischen Kindergarten, Schule und Job führte zu einer totalen Erschöpfung und dann ging die Bombe hoch. Ich glaube, ohne diese Erkrankung hätte ich vielleicht immer noch nichts geändert. Ich habe dann Schritt für Schritt gelernt, dass es Dinge gibt, die mir nicht mehr guttun. Zum Beispiel zu viel zu arbeiten.
Wo haben Sie Kraft getankt in dieser Zeit?
Wir haben ein Häuschen in der Eifel, wo ich seit meiner Kindheit verwurzelt bin. Ich war immer ein Landei. Inzwischen sage ich sogar, ich bin mehr in Eifler Mädchen als ein Stadtkind. Und dadurch kam die Idee, etwas anderes zu machen. Wir sind dann von der Stadt aufs Land gezogen. Als ich hier mal bei einem Bauern auf einem Obsthof einkaufen war, habe ich gedacht “Das will ich auch gern machen”. Und habe spontan gefragt, ob sie noch Aushilfen brauchen. Innerhalb von zwei Wochen habe ich dann zweimal die Woche für sechs Stunden Obst und Gemüse verkauft. Das war eine tolle Zeit, allerdings war es auch sehr anstrengend und nach drei Jahren hat mein Rücken mich rausgekickt, weil ich aufgrund der Medikamente Wirbeleinbrüche hatte. Da ging dann gar nichts mehr. Das war für mich ein großer Rückschlag.
Aber Sie haben sich wieder aufgerappelt …
Nachdem ich auf dem Obsthof aufgehört hatte, musste ich meinen Rücken schonen, lag viel auf dem Sofa und war sehr deprimiert. Ich bin ja ein Mensch, der 30 Jahre immer viel und gern gearbeitet hat. Jeder sagt, ruh dich aus, lass es dir gut gehen. Aber was macht man mit diesen Freiräumen? Ich bin damit erst einmal überhaupt nicht klar gekommen. Und ich glaube, dadurch habe ich meine Sinne geschärft. Durch einen Bekannten fand ich eine Fromagerie, die genau in dem Moment als ich dort anfragte, jemanden für den Verkauf im Laden suchte. Ich glaube, das hatte damit zu tun, dass ich manchmal im richtigen Augenblick den richtigen Sinn geschärft hatte.
Ist das für Sie in der Rückschau eine wichtige Erkenntnis?
Ich bin überhaupt nicht esoterisch, aber manchmal denke ich, irgendwie fügt sich alles, trotz körperlicher und seelischer Rückschläge. Ich bin im Leben oft ganz schön durch die Waschmaschine gezogen worden und sah mein Leben plötzlich auf den Kopf gestellt. Trotzdem habe ich immer gedacht, dass ich es aus eigener Kraft geschafft habe. Wie meine Großtante sagte “Wer suchet, der findet”. Und wenn man neugierig ist, dann findet man auch. Und ich habe gefunden.
Haben Sie sich bei dieser Suche verändert?
Es hat mich generell verändert, dass ich gesagt habe, es gibt auf jeden Fall noch mehr als meinen Job. Und es gibt bestimmt auch noch mehr als Obsthof und Käseladen. Jedes Jahr habe ich ein neues Motto. Vor drei Jahren war es “Später ist jetzt”, also nicht die eigenen Träume auf später verschieben. Das sind so eigene Leitsätze wie “Neue Wege finden”. Ich bin sehr aufmerksam geworden und habe gemerkt, dass ich meine Jobs noch gut mache, aber sie nicht mehr alles für mich sind und ich ein Stück loslassen möchte. Mein Herzblut fließt auch durch andere Adern, da hat der Job inzwischen Konkurrenz.
Welche Träume möchten Sie noch verwirklichen?
Manchmal träume ich von einem kleinen Café. Das wird dann “Zum wilden Dackel” heißen, benannt nach meinem kleinen Rauhaardackel. Ob das jemals ein Café wird, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich immer von irgendwelchen Sachen geträumt habe und immer ist etwas dabei rumgekommen.
Sind Träume für Sie ein Lebenselixier?
Auf jeden Fall. Es ist wichtig, über sie zu reden und weiter zu entwickeln und sich dann wirklich vorzustellen, in welchen Schritten kannst du was ändern? Mein Mann ist zehn Jahre jünger, der natürlich noch voll im Job ist und auch in der Eifel arbeiten könnte. Wir sind gerade dabei, das Haus fertig zu sanieren. Das ist auch so eine Entwicklung, dass wir uns vorstellen können, irgendwann ganz dort zu leben.
Sie haben ganz bewusst Ihre Prioritäten im Leben verschoben. Ihr aktuelles Projekt ist “Lesen im Loft”, wo sie zusammen mit Ihrer Partnerin Franca Pilz Lesungen veranstalten. Gehört das auch zu den Dingen, die Sie immer schon mal machen wollten?
Der Weg war ein bisschen anders. Ich habe immer schon gerne viel gelesen und auch meinem Sohn viel vorgelesen. Und dann kam ich auf die Idee, dass ich doch auch älteren Leuten vorlesen könnte. Über ein Jahr lang habe ich in einem Altenheim einem älteren Herrn seine eigene Biografie vorgelesen. Und dann kam der Anruf von einem 93 Jahre alten Ehepaar, er wäre erblindet und dann bin ich da hin und habe gemerkt, dass mir das Vorlesen sehr viel Freude macht.
Vor einigen Jahren habe ich dann Franca Pilz kennengelernt, die ein Loft in einer Fabrik angemietet hat für Veranstaltungen und Fotoshootings und selbst professionelle Sprecherin ist. Zusammen kamen wir auf die Idee, im Loft Lesungen zu machen. Seit einem Jahr sind wir nun dabei und es macht uns große Freude.
In Ihrem Leben hat sie auch der Erfolg begleitet. Welche Bedeutung hat der Begriff für Sie heute?
Jeder Mensch ist irgendwie auf Lob aus. Und es ist schön, wenn man sogar selber sagen kann “Da kannst du stolz drauf sein”. Das ist eine andere Ebene von Erfolg, die mir heute wichtiger ist, als Lob von anderen zu bekommen. Zum Beispiel macht es mich glücklich, wenn ich ein tolles Buch gefunden habe, und ich bei einer Lesung das Gefühl habe, es hat den Leuten richtig Spaß gemacht. Auf eins bin ich auch stolz, dass ich ein Mensch bin, der eigentlich alles ausprobiert, bei dem ich denke, dass es sich lohnt. Ein Erfolg ist auch, dass wir “Lesen im Loft” überhaupt machen. Egal, wie es sich weiterentwickeln wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Martini!
Unser Veranstaltungstipp: In heutigen Zeiten des Lärmes und der Unruhe ist “Lesen im Loft” eine Gelegenheit zum Innehalten und eine Auszeit, in der man sich zurücklehnen kann und vorlesen lässt. Das aktuelle Programm finden Sie auf www.lesen-im-loft.de.