von Diplom-Psychologin Gabriele Birnstein
Die einen nennen es harmlos „Einkaufsbummel“, die anderen sprechen vom „shopping“, als handle es sich um ein amüsantes Wandeln durch die Warenhäuser. Dahinter verbirgt sich in den meisten Fällen ein gnadenloser Klamottenkrieg, den man oft nur psychisch schwer verletzt überlebt. Da wird das Selbstwertgefühl erbarmungslos attackiert und fällt mit dem zu häufig gehörten Satz: „Das haben wir in Ihrer Größe gar nicht da!“ Jeder Start in die Stadt ist mit großen Erwartungen verbunden. Da malt man sich aus, wie aufregend das neue Outfit sein wird, wenn der Beutezug erfolgreich war. Aber dieser Job ist nichts für Entscheidungsmuffel.
Die Gezeiten der Mode
Zweimal im Jahr überfluten die neuen Frühjahr-Sommer und Herbst-Winterkollektionen die Geschäfte und wecken Begehrlichkeiten. Da locken neue Farben und Schnitte und da lauert die Enttäuschung nicht die richtige Figur für die Fummel zu haben. Wer nicht früh genug unterwegs ist, steht regelmäßig vor den Umkleidekabinen im Stau. Und wenn man endlich dran ist, dann entpuppen sich diese als richtig fiese Fallen, die ohne jedes Taktgefühl den seit langen Jahren aus den Augen verlorenen eigenen Rücken in seiner ganzen Speckigkeit spiegeln. „Das bin nicht ich“, schießt es einem sofort in den Kopf, „das kann nicht sein!“ Wer da noch tapfer weiter anprobiert, als wäre nichts gewesen, der hat Talent zum Überlebenskünstler.
Die Zerreißprobe Anprobe
Auch die ganze An- und Auszieherei kann einem mächtig auf die Nerven gehen. Profis planen dies ein und ziehen für ihre Shoppingtortur auf keinen Fall einen Rollkragen an, den sie dann jedes Mal über Kopf und Frisur zerren müssten, vom Make-up ganz zu schweigen. Die braun verschmierten Oberteile, stumme Zeugen missglückter Anproben, werden dann zu Sonderangeboten degradiert. Ganz abgebrühten Schnäppchenjägern wird sogar nachgesagt diese Make-up-Spuren absichtlich zu legen, um die Beute billiger zu schießen. Noch schlimmer sind jedoch die unterschiedlich ausfallenden Größen der verschiedenen Modefirmen. Da reicht die Spannbreite schon mal über drei Kleidergrößen hinweg, was dem Selbstbewusstsein auch eher schadet.
Spieglein, Spieglein an der Wand
Ganz tückisch sind auch jene Spiegelwände in den Geschäften, die jeden schlanker machen und ungemein schmeicheln. Man hat zwar leise Zweifel angesichts der sexy Figur, die sich da vor einem präsentiert, aber die volle Breitseite dieses Angriffs erfolgt erst zuhause vor dem eigenen, unbestechlichen Spiegel. In diesen Fällen fühlt man sich überdies getäuscht und betrogen, der Popo ist auch in dieser flippig bestickten Jeans so dick wie eh und je und die Oberschenkel ebenfalls.
Shoppen bis der Arzt kommt
Dieses Desaster lässt sich nur in Begleitung einer gutmütigen und ehrlichen Freundin verhindern. Ein kurzes „lass es“ ist zwar auch nicht völlig schmerzlos, aber eben nur kurz und es bewahrt vor teuren Fehlkäufen. Allerdings können bei diesen Schlachten an der Bekleidungsfront auch ganze Freundschaften fallen – oder sich auf ewig festigen. Dazwischen gibt es eigentlich nichts. Wer sich traut den Liebsten mit auf den Feldzug zu nehmen, ist entweder der Beziehung überdrüssig oder weiß nicht, was ihn erwartet. Ausdauerndes Shopping ist definitiv ein Risiko für jede zwischenmenschliche Verbindung.