Ein Kommentar von Martin Beier
Soll ich Bitcoin kaufen? Oder verkaufen? Immer wieder bekomme ich diese Fragen gestellt. Oder ich soll einen heißen Aktientipp geben. „Habt Ihr denn Aktien“, frage ich dann zurück. Die Szene beschreibt eingänglich, wie verrückt die Sache mit den Finanzen ist; gerade in „Deutschland heilig Sparerland“. Im Export sind wir Weltklasse. In Geldanlage sind wir Kreisklasse. Und das ist am Ende sogar gut so.
Zu Beginn des Jahrtausends gab ich jede Woche ‘n Aktientipp in der Zeitung mit den großen Buchstaben; mal Boeing und mal die T-Aktie. Das ist lange her. Die damalige Begeisterung für Aktien ist vorbei. Die Zahl der BILD-Leser ist massiv gesunken. Heute ist es verboten, solche pauschalen Tipps zu geben. Schade eigentlich: Für die amerikanische Boeing-Aktie zahlte man damals umgerechnet 40 Euro. Heute zahlt man weit mehr als 240 Euro für dasselbe Papier! Wer verkauft, hat verloren. Boeing zahlt jetzt alle drei Monate 1,40 Euro Dividende. 5,60 Euro sind das im Jahr – auch für jene Aktien, die einst nur 40 Euro gekostet haben.
Quartals-Dividenden statt Altersarmut
Anders die T-Aktie. 100 Euro zahlten Anleger zu Beginn des Jahrtausends freiwillig für den „Traum in Magenta“. Der folgende Alptraum bringt heute kaum mehr als 14 Euro. Das ist 2018 so wenig wie 1996, als der T-Boom begann. Einmal im Jahr gibt es 65 Cent T-Dividende. Und dennoch: Diese 65 Cent für jede T-Aktie sind heute mehr als der Jahreszins auf dem Sparbuch – selbst für jene Unglücklichen, die damals 100 Euro bezahlten. Die Zinsen sind gesunken wie die T-Aktie. Und die Zukunft liegt wahrscheinlich eher im „T“ als im Zinssparbuch.
Der Unterschied zwischen Boeing und Telekom besteht darin: Millionen Arbeitnehmer in den USA stecken seit Jahrzehnten regelmäßig Geld in Aktien. Sie sparen dadurch Steuern. In Deutschland werden Aktienanlagen steuerlich bestraft. Viele ganz normale Rentner in USA kassieren heute mehr Dividenden aus langjährigem Aktienbesitz als sie Altersrenten bekommen. Altersarmut ist weithin kein Thema in „den Staaten“. In Sachen Export mögen die „Amis“ Kreisklasse sein. In Sachen Geldanlage sind sie Weltklasse: Große Summen das Altersgeld haben sie mittels Investmentfonds u.a. auch in Aktien des Exportweltmeisters stecken; in Siemens, Daimler, BASF und anderen deutschen AGs.
Die Deutschen werden wegen ihrer Exporterfolge und wegen ihrer Überschüsse im Außenhandel beneidet und international kritisiert. Hinten herum machen die Kritiker beim Exportweltmeister mit – über den Kauf von Aktien; nach dem Motto: If you can’t beat them, join them! Ausländer kaufen, was deutsche Sparer nicht kaufen wollen. Vor 40 Jahren, als der Schah von Persien dem Industriellen Flick Aktien von Daimler-Benz abkaufen wollte, da rief der Kanzler Helmut Schmidt eilig das Bundeskabinett zusammen – zu einer Krisensitzung.
Deutschland exportiert sich selbst
Heute exportieren die Weltmeister nicht nur Autos und Maschinen. Faktisch exportieren die Weltmeister gleich auch ihre Exportfirmen ins Ausland. Deutschland verkauft sich selbst! Die Mehrzahl der Aktien, z.B. von Daimler, BASF oder Bayer und vielen anderen – auch Nicht-Aktiengesellschaften, befindet sich 2018 im Eigentum ausländischer Anleger. Die Anleger kommen aus Qatar, aus China oder USA und aus aller Welt. Und niemand schreit mehr auf. Der Zug ist abgefahren.
Deutsche Sparer haben das Vertrauen in Wirtschaft und Finanzen weithin verloren. Erst mit Telekom und mit dem „Neuen Markt“ abgezockt. Dann millionenfach reingelegt mit angeblich sicheren Bonus- und Express-Zertifikaten, mit Discount-Papieren oder mit Bauherrenmodellen. Und heute? Selbst seriöse Medien beschreiben – wider besseren Wissens – die angeblich heile deutsche Aktienwelt; wie toll man damit reich werden könnte. Die Wahrheit sieht anders aus: Kreisklasse statt Weltklasse.
Der „richtige“ DAX-Aktienindex, also der Durchschnitt der 30 wichtigsten deutschen Aktienkurse, steht 2018 immer noch da, wo im Frühjahr 2000 der Höchststand erreicht wurde; bei etwa 6.000 Punkten. Der populäre DAX – z.B. aus „Der Börse vor Acht“ oder aus dem „Handelsblatt“ – wird derweil auf etwa 13.000 Punkte berechnet. Die Berechnungsmethode dieses sog. Performance-DAX ist jedoch nicht nur für deutsche Verhältnisse total realitätsfremd. Sie ist auch international unüblich und für andere deutsche Finanzberechnungen unerlaubt.
Unerlaubte Methode
Wer die „Desaster-Kurse“ kennt, mit denen Telekom, Deutsche Bank, Commerzbank oder z.B. auch RWE und Eon heute im Vergleich zum Jahr 2000 in den DAX eingerechnet werden, der weiß, wie unglaubwürdig die 13.000 Punkte des populären DAX sind. Selbst die Daimler-Aktie steht 2018 nicht mal mehr so hoch wie 1998 trotz aktueller milliardenschwerer Rekordgewinne. Den Aktionären, sprich den Eigentümern, der „Welt-Versicherer“ Allianz und Münchener Rück geht es kaum weniger schlecht.
Der „Leitindex“ Dow Jones von der New Yorker Börse an der berühmten Wallstreet wird – im Prinzip – genauso berechnet wie der „richtige“ DAX; nämlich nur aus den Kursen der 30 sog. Dow-Jones-Aktien; darunter Boeing und Apple, aber kein Google/Alphabet, kein Amazon oder auch kein Facebook. Dieser klassische Dow Jones ist seit Beginn des Jahrtausends von 11.000 auf mehr als 24.000 Punkte gestiegen. Das sind die Vergleichswerte zu jenen 6.000 Punkten des „richtigen“ DAX.
Aktien: Die Hoffnung stirbt zuletzt
Die Hoffnung stirbt zuletzt: Dass die deutschen Kurse eines Tages so hoch sein werden, dass auch der „richtige“ DAX bei 13.000 steht. Das würde dann eines Tages dem heutigen Dow Jones von 24.000 Punkten entsprechen. Und die deutschen Kurse stünden im Durchschnitt doppelt so hoch wie heute. Das diese Hoffnung nicht stirbt, das hat nicht nur mit der Wirtschaft des Weltmeisters zu tun. Das hat vor allem mit dem vielen Geld zu tun, das die Finanzwirtschaft in einem eigenen Kosmos bewegt – und zwar weltweit. Diese Globalisierung der weltweiten Finanzen ist gut für Papiere aus dem Land des Exportweltmeisters. Die moderne Anlagesystematik zieht die deutschen Kurse quasi automatisch mit nach oben.
SAP, BASF, Adidas oder z.B. auch „Brille: Fielmann“ sind deutsche Erfolgsaktien. Oder Vinci: Das französische Erfolgsunternehmen hat das Geld seiner Aktien-Eigentümer z.B. in Autobahnen stecken und in anderen öffentlichen Anlagen, für die der Staat kein Geld hat. Bundesanleihen, mit denen der deutsche Staat sich Geld beschafft und Autobahnbrücken verfallen lässt; die Anleihen bringen schon lange nicht mehr genug Zinsen; nicht für Investmentfonds und auch nicht für direkte Anleger. Private Anleihen sind oft besser, sofern die Schuldner das Vertrauen der Anleger nicht bestrafen, indem sie nicht mehr zahlen.
Geschichten aus 1001 Börsensitzung
Einzeltipps an dieser – und an anderer Stelle – sind verboten. Ein Hinweis jedoch ist erlaubt: Das Warten auf höhere Zinsen lohnt nicht. Was viele Aktiengesellschaften als Dividende zahlen, ist mehr als aktuelle Zinsrenditen. Und diese Prognose ist erlaubt: Die Telekom wird nächstes Jahr mehr als jene 65 Cent pro Aktie an Dividende zahlen, die sie zuletzt gezahlt hat. Wer stattdessen Bitcoins kauft, wird wissen, was er tut. Heiße Tipps werden schnell kalt. Gold war vor sieben Jahren ein heißer Tipp. Da war die Unze etwa 50 Prozent mehr wert als heute. Und Kaufleute wissen: Im Einkauf liegt der Segen, wenn die Anderen nicht kaufen wollen.
Es gibt noch jede Menge weitere Geschichten und Zusammenhänge; z.B. wer sich neben den Ölkonzernen darüber freut, dass Benzin teurer wird. Oder warum Daimler den Namen „Benz“ aus der Firma gestrichen hat. Und unverdrossen Benzin-Motore produziert. Elektro machen die Chinesen.