Gerade erst bin ich aus dem Osterurlaub zurückgekehrt und die Eindrücke sind noch ganz frisch. Die ganze Familie inklusive meiner Mutter war eine Woche auf einer Kanaren-Kreuzfahrt. Meine 77-jährige Mutter freute sich sehr, Zeit mit Ihren Enkelinnen und mir und meinem Mann zu verbringen.
Da ich weiß, dass in diesem Jahr das erste Pflegekreuzfahrtschiff vom Stapel läuft, habe ich während der Reise immer wieder über diese Geschäftsidee als Alternative zum Pflegeheim nachgedacht. Vor allem hatte ich die Zielgruppe nicht nur in Person meiner Mutter, sondern bei vielen anderen Urlaubern stets vor Augen. Auf Nachfrage während der vorangegangenen Kreuzfahrt – zugegebener Maßen außerhalb der Schulferien – sagte man mir, das Durchschnittsalter der Passagiere wäre 59. Jetzt bei der Tour über Ostern waren durch die Ferienzeit auch jede Menge Kinder an Bord. Der sogenannte „Drei-Generationen-Urlaub“ wird immer beliebter. Viele andere Familien reisten ebenfalls mit Oma und/oder Opa. Diese waren zum Teil schon deutlich gebrechlicher und schlechter zu Fuß als meine Mutter.
Kreuzfahrt oder Seniorenheim
Insofern ist es sicherlich eine clevere Geschäftsidee die Probleme des Pflegenotstands in Deutschland mit dieser gerade bei Senioren beliebten Reiseform zu kombinieren. Die Kreuzfahrtbranche boomt, 2,2 Millionen Deutsche haben im Jahr 2018 eine Kreuzfahrt absolviert. Die Zuwachsrate beträgt ca. 3,5 % im Jahr und in diesem Jahr laufen alleine 19 neue Schiffe vom Stapel. Davon möchte auch die Firma „ted cruises“ profitieren und wirbt mit der 5 Sterne Seniorenresidenz auf See.
Als die Idee der Firma sich in den sozialen Medien in wenigen Tagen verbreitete, gab es einen Ansturm an Anfragen. Sowohl von potentiellen Mitarbeitern als auch von potentiellen Kunden, die zunächst jede Menge Fragen hatten. Zum Beispiel: „Können bei dieser Versorgungsform Leistungen mit der Pflegekasse abgerechnet werden?“ Tatsächlich können Sachleistungen von der Pflegekasse in Anspruch genommen werden, da das Schiff unter europäischer Flagge fährt. Laut Werbung verspricht der Gründer mehr Abwechslung, mehr Leistungen und mehr Personal als bei herkömmlichen Altersheimen an Land. Zudem eine Reise um die Welt mit Arzt und Pflegepersonal an Bord. Zu schön um wahr zu sein?
Eine Seefahrt die ist lustig ….?
Der erste Seetag unserer Reise ließ mich schon etwas an der Idee zweifeln. Es herrschte starker Seegang und das Schiff schaukelte ganz ordentlich. Die ganze Familie kämpfte mit Übelkeit. Meine Mutter, die schon an Land mit Schwindel und Gangunsicherheit zu kämpfen hat, kam an ihre Grenzen. Die Angst zu stürzen war ihr deutlich anzumerken. Dazu wird die Tatsache, dass man 3000 Meter tief Wasser unter sich hat und zig Meilen vom Festland unterwegs ist, in einer solchen Situation doch sehr präsent. Wie sollte das erst bei den Bewohnern der MS Lebenstraum werden?
Wo doch Sturzprophylaxe das A und O ist, um eine Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zumindest nicht zu verschlimmern. Und überhaupt, wenn man dann tatsächlich stürzen sollte, reicht dann die Versorgung an Bord aus? Was, wenn der Gesundheitszustand sich verschlechtert und man ins Krankenhaus muss? Es gibt einige Länder, da wollte auch ich nicht unbedingt in ein Krankenhaus müssen. Den deutschen Standard gibt es ja leider nicht überall auf der Welt.
Unterhaltung und Gemeinschaft
Aber schauen wir auch auf die vielen positiven Dinge an Bord. Die Shows, Bars mit Musik und Tanz am Abend, die Ausflüge, das Sportprogramm und vieles mehr bieten ein vielfältiges Beschäftigungsangebot. Es sollen lediglich 250 Menschen an Bord aufgenommen werden. Also eine überschaubare Personenzahl, kein Massentourismus. So kennt man sich bald untereinander und kann neue Kontakte knüpfen. Das ist besonders wichtig, denn man ist aus seinem sozialen Umfeld zuhause komplett herausgerissen. Man lässt Familie und Freunde, Nachbarn und alles Gewohnte zurück. Auch das eigene Zuhause, die lieb gewordenen Dinge und viele persönliche Erinnerungsstücke, eben alles, was Heimat ausmacht.
Aber das muss man ja schließlich auch beim Einzug in ein Heim, werden die Befürworter des Konzeptes einwenden. Nur dort gäbe es vertraute Menschen, die den Übergang in dieser schwierigen Zeit des Abschieds vom Zuhause (und bei Pflegebedürftigkeit auch der Abschied von Kompetenzen) begleiten. Man müsste wohl ein eher extrovertierter Mensch sein, neugierig sein und eine ganze Portion Mut mitbringen, um den Schritt zu wagen. Jemand, der bereits im Ausland gelebt hat, viel gereist ist und großes Interesse an fremden Kulturen hat, tut sich dabei sicherlich leichter. Meine berufliche Erfahrung zeigt allerdings, dass gerade in Pflegesituationen eine Veränderung ungleich schwerer fällt.
Ende gut, alles gut?
Ich denke, der ideale Kunde ist derjenige, der schon etliche Kreuzfahren gemacht hat und mit dieser Art des Reisens bereits vertraut ist. Kreuzfahrtneulinge würden den Schritt in einer Pflegesituation sicherlich nicht wagen. Es bleibt abzuwarten, welche Personen dieses Modell für ihren Lebensabend wählen werden. Eventuell ja diejenigen, die u. a. auf die Kanaren ausgewandert sind, um dem nassen und kalten Winter in Deutschland zu entfliehen. Insgesamt gehen bereits ca. 235.000 Rentenzahlungen ins Ausland.
Schlussendlich bleibt für mich die spannende Frage, ob der Aufenthalt auf dem Pflegeschiff nicht eher ein langer Urlaub als Zwischenstation vor dem Heim in der Heimat wird oder tatsächlich eine ernstzunehmende Wohnalternative für den Rest des Lebens.
Herzlichst Ihre