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Die Schauspielerin und Autorin Maria Bachmann wuchs wie viele der sogenannten Kriegsenkel mit Eltern auf, die gefangen waren im Trauma des Zweiten Weltkriegs. Deren Leben geprägt war von Sprachlosigkeit, Depression und Pflichterfüllung. Wie sie es schafft, als verunsichertes und angepasstes Mädchen mit Vertrauen und Zuversicht ihre Träume zu verwirklichen, hat sie in ihrem aktuellen Buch aufgeschrieben.

Frau Bachmann, Sie haben offenbar mit Ihrem Buch einen Nerv getroffen. Zu Ihren Lesungen kommen Hunderte von Menschen.

Verrückt ist, dass bei den Lesungen auch jüngere um die 35 bis 40 Jahre dabei sind und immer noch ähnliche Themen haben. Und auch sehr viel ältere. Einmal war eine Dame von 82 Jahren in einer meiner Lesungen. Ich habe sie gleich angesprochen und gesagt: “Eigentlich könnten Sie hier sitzen und erzählen”. Und ich dachte, wie sie wohl darauf reagieren wird, wenn ich erzähle, wie es mir erging. Am Schluss kam sie mit ihrer Tochter auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte: “Ich wollte mich nur bedanken. Genau so war es.” Das hat mich zu Tränen gerührt. Das Thema ist generationsübergreifend.

Die Kriegsgeneration ist oftmals mit ihren Traumata allein gelassen worden und hat somit das ein oder andere unbewusst an die Kindergeneration weiter gegeben. Bildquelle: © Jd Mason / Unsplash.com
Die Kriegsgeneration ist oftmals mit ihren Traumata allein gelassen worden und hat somit das ein oder andere unbewusst an die Kindergeneration weiter gegeben. Bildquelle: © Jd Mason / Unsplash.com

Sie wuchsen in einem beschaulichen süddeutschen Ort auf. Ihre Eltern hatten die Nazizeit und als Jugendliche den Krieg erlebt. Aber sie sprachen nicht darüber. Überhaupt beschreiben Sie sehr eindrücklich die Sprachlosigkeit in ihrer Familie. Haben Sie besonders unter ihr gelitten?

Ja, keine Worte zu finden, nicht fähig zu sein über etwas zu sprechen, was man empfindet. Es gab keine Ausdrücke, es gab kein Bewusstsein, das hatten meine Eltern nicht gelernt. Beim Schreiben habe ich lange überlegt, wie ich dieses Schweigen anschaulich in den Vordergrund stellen kann. Dass es nicht nur für mich nachvollziehbar ist, sondern für alle. Wie kann man Schweigen beschreiben? Oder diese bleierne Zeit, die Dumpfheit, die so trennt und gleichzeitig verbindet? Dafür habe ich Situationen und Bilder gesucht, um das zu veranschaulichen.

Was hat Ihnen geholfen, diese Sprachlosigkeit zu überwinden?

Dazu hat bei mir auch die Schauspielerei beigetragen. Da musste ich mich selbst kennenlernen. Das ist erst mal wie eine neue Ausbildung, Worte für Gefühle zu finden und dass es okay und gut ist, darüber zu sprechen. In den Gesprächen nach den Lesungen wird das immer wieder deutlich. Niemand wollte feige sein oder sich selbst zu ernst nehmen. Wenn junge Soldaten aus dem Krieg zurückkamen, haben sie diesen Schmerz und alle Erlebnisse weggesteckt. Sonst wären sie ja kein Mann gewesen. Das war in der damaligen Zeit so. Es hieß, “Ein Indianer kennt keinen Schmerz” oder “Stell’ dich nicht so an”. Ich bin im Buch vor allem darauf eingegangen, uns heute abzuholen, um auch ein Verständnis für die Nachkommen zu schaffen, zusätzlich zu dem, was die Eltern erlebt haben.

Ihre Eltern vermittelten Ihnen, dass man die Dinge nicht ändern konnte. Die Lebensaufgabe bestand darin, mit allem klarzukommen. 1984 lernten Sie den damals 39-jährigen Udo Lindenberg kennen. War er sozusagen Ihr Entwicklungshelfer?

Heute, in dieser Rückschau, kann ich sagen, definitiv. Es ist ja so, dass wir einen Rucksack von Zuhause mitbekommen. In diesem Rucksack sind alle die Glaubenssätze, Lebenseinstellungen und Ängste und Unsicherheiten, aber auch die Hoffnungen und die Lebenslust. Als ich Udo kennengelernt habe, habe ich gesehen, dass in seinem Rucksack ganz andere Dinge sind als in meinem. Nun wollte ich auch das haben, was er in seinem Rucksack hatte. Aber dazu musste ich meinen erst einmal ausleeren und aussortieren. Als wir uns kennenlernten, war ich 20 und noch nicht dazu in der Lage. Deswegen war die Zeit mit ihm der blanke Wahnsinn. Eine Offenbarung und gleichzeitig auch eine große Herausforderung. Heute kann ich sagen, hätte ich ihn nicht gehabt, wäre mein Leben definitiv anders verlaufen.

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Wovon mussten Sie sich verabschieden, um herauszufinden, wie Sie leben möchten?

Erst im Erwachsenenalter konnte ich mir diesen Rucksack mit den alten Glaubenssätzen anschauen: “Was meinst du, wer du bist? Tu dich nicht hervor! Lach nicht so laut. Tanz nicht aus der Reihe. Du wirst dich noch umgucken. Das Leben ist kein Zuckerschlecken. Auf der anderen Seite ist das Gras auch nicht grüner.” Sie kamen aus der Sicht meiner Eltern, aus einem Sicherheitsdenken und aus einer Fürsorge heraus. Aus ihrem Erfahrungsschatz war das ja genau richtig.

Als ich das erkannt hatte, konnte ich aussortieren und sagen, für mich gilt das aber heute nicht mehr. Wenn wir das sang- und klanglos übernehmen, dann leben wir in dieser alten Spur weiter und leben nicht unser eigenes Leben. Und das finde ich fatal. Wir haben nur dieses eine Leben und deswegen finde ich es so wichtig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wo wir heute stehen und was wir aus dem Rucksack aussortieren wollen. Wir können die alten, ausgetretenen Pfade verlassen, wir dürfen alles Hemmende bei den Eltern und Großeltern in einer Zeit lassen, wo es eigentlich auch hingehört.

Haben Sie das Buch in erster Linie für sich selbst geschrieben oder eben auch mit dem Bewusstsein, dass es Vielen so geht wie Ihnen?

Ich habe das Buch definitiv nicht für mich geschrieben. Ich für mich hatte es schon verarbeitet. Aber ich hatte den Verdacht, dass ich nicht die Einzige bin, die das betrifft. Ich musste aber mutig vorangehen und von mir selber schreiben, um zu sagen: “Schaut mal, wir sind vielleicht ganz viele”. Und wir dürfen heute über alles reden, uns darüber austauschen und nachdenken. Und es ist erlaubt, unsere Hemmungen, unsere Probleme, kleine und große, das alles ins Licht zu bringen, aus dem Schatten von damals hervorzuholen, damit es sich verändern kann, damit wir Verantwortung für unsere eigenen Gefühle übernehmen können. Denn die Eltern konnten es damals nicht. Sie waren Opfer ihrer Zeit. Wir nicht. Das ist der große Unterschied. Wir können heute selbstbestimmt sein und dazu braucht es den Mut, hinzuschauen.

Absolut lesenswert: " Du weißt ja gar nicht, wie gut Du es hast". Bildquelle: © Droemer Knaur Verlag
Absolut lesenswert: ” Du weißt ja gar nicht, wie gut Du es hast”. Bildquelle: © Droemer Knaur Verlag

Sie sind nicht nur eine erfolgreiche Schauspielerin und Autorin, sondern auch Präsenz- und Motivationscoach. Ist diese Arbeit aus dem Wunsch entstanden, Ihre Erfahrungen anderen Menschen mitzugeben?

Ich habe zuerst angefangen, Schauspieler zu coachen für Rollen und später dann auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Unternehmen. Oft kommt an erster Stelle, dass sie Probleme haben, zu sich zu stehen und das, was sie in ihrem Leben bislang geleistet haben, zu wertschätzen. Die großen und die kleinen Dinge gehören gewürdigt. Das sage ich auch immer bei den Lesungen: “Unsere Kindheit und Jugend gehört gewürdigt!” Wir haben so viel durchlebt und zu sagen, naja, wir haben ja keinen Krieg erlebt, uns ging es ja immer gut, ist ja nur die halbe Wahrheit.

Können Sie das genauer erklären?

Zum Beispiel in Anbetracht dessen, was meine Eltern erlebt haben. Dass meine Mutter sich bei Fliegeralarm in die Ackerfurche geschmissen hat und dass mein Vater in Frankreich irgendwelche Leute wegbringen musste und ein mulmiges Gefühl dabei hatte. Das sind Zustände, Gefühle und Erlebnisse, dagegen ist das, was ich so an seelischen Befindlichkeiten hatte, nichts. Und deswegen neigen wir dann dazu, das, was uns am Herzen liegt, zu minimieren und zu vergleichen. Mit diesem Gefühl, ich bin nicht gut genug. Ich muss mir alles so hart erarbeiten. Ich habe es nicht verdient, glücklich und gesund zu sein. Oft merken wir gar nicht, was uns fernsteuert, weil es so tief in uns vergraben ist. Und da schaue ich immer wieder hin. Was ist denn das für eine Stimme, die mich immer wieder bremst? Ich arbeite dabei auch viel mit schauspielerischen Werkzeugen.

Das klingt auch im Buch an, wenn Sie Situationen aus der Schauspielausbildung beschreiben.

Ich finde es einfach schön, wenn man sich mit all seinen Gefühlen anfreunden kann bzw. keine Angst vor ihnen hat. Das ist eine Lebensaufgabe, keine Angst vor der Angst zu haben, keine Angst vor der Wut oder vor der Freude. Unsere Eltern und Großeltern haben ihre Gefühle entweder ausagiert oder unter den Teppich gekehrt. Dafür kam es dann auf der anderen Seite wieder raus, nämlich in emotionaler Gewalt oder auch körperlicher Gewalt in der Familie, weil sie so hilflos waren. Deswegen habe ich heute ganz viel Mitgefühl für unsere Vorfahren und auch für meine Eltern, die immer das Beste gemacht haben, was in ihrer Macht stand.

Was raten Sie Menschen, die ähnlich empfinden wie Sie?

Nicht jeder braucht eine Therapie. Für mich war es richtig und notwendig. Es reicht ein Gespräch mit einer Freundin oder sich mal zu überlegen, warum in meinem Leben dauernd irgendetwas im Inneren zwickt, dann habe ich die Möglichkeit, für mich zu sorgen. Es gibt Bücher, Kurse, Yoga, Meditation, Natur, Innere-Kind-Arbeit – Selbstfürsorge. Möglichkeiten gibt es sehr viele. Und wenn ich mit meinem Leben glücklich und zufrieden bin, muss ich überhaupt nichts machen.

Können Sie jetzt sagen, dass Sie glücklich und zufrieden sind?

Ja. Natürlich nicht dauerhaft, aber sagen wir es so, ich bin ein Stück weit zu mir vorgedrungen und das tut mir gut. Und die Herausforderungen, die noch kommen werden, die gehe ich an, so gut ich kann wie jeder Mensch.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Bachmann.

Das Buch “Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast – Von einer, die ausbrach, das Leben zu lieben” ist im Knaur Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro. Die Termine der nächsten Lesungen finden Sie auf Maria Bachmanns Website.

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