Dagmar Hirche hat 2007 den Verein „Wege aus der Einsamkeit“ gegründet. Damit hat sie sich zum Ziel gesetzt, das Image des Alters positiv zu verändern. Seit 2015 lädt der Verein in Hamburg und Berlin regelmäßig Menschen im Alter 65+ ein, kostenfrei den Umgang mit Internet, Smartphone und Tablet zu erlernen. Die Kurse mit bislang 5000 Teilnehmern stehen unter dem Motto: Wir versilbern das Netz. Das 1X1 der Tablets & Smartphones für Menschen 65+. In diesen Gesprächsrunden holt Dagmar Hirche ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Augenhöhe ab. Sie setzt kein Wissen über das Internet voraus und erklärt digitale Basisbegriffe in einfachen Worten.
Um noch mehr Menschen zu erreichen, hat Dagmar Hirche nun ein Mutmachbuch herausgegeben, gemeinsam mit der Journalistin Angela Meyer-Barg. Beide haben mit vielen Menschen gesprochen, die sich für die digitale Teilhabe von Senioren einsetzen. Auch bekannte Namen wie die Politikerinnen Rita Süssmuth und Dorothee Bär kommen zu Wort. Wir von 59plus durften natürlich nicht fehlen: Sie finden in dem Buch ein Interview mit unserer Geschäftsführerin Simone Brüggemann. Sie berichtet von ihrer Erfahrung, dass sich die ältere Zielgruppe eine gut verständliche Sprache und einen intensiven Austausch wünscht.
Keine Angst vor dem Alter!
Besonders inspirierend sind in dem Buch die Geschichten der Mutmacher. Dazu gehört die ehemalige Lehrerin Elisabeth Scherf, die mit ihren flotten 80 Jahren regelmäßig bei Poetry-Slams anzutreffen ist, einen Blog betreibt und gerne um die Welt reist. Sie macht deutlich, dass niemand Angst vor dem Alter zu haben braucht. Auch Deutschlands älteste Food-Bloggerin (80) und die YouTuberin Greta Silver (71) kommen zu Wort und erzählen von ihrem Weg ins Netz.
Zum Ausklang des Buches hat Dagmar Hirche Anmerkungen der Teilnehmer an ihren digitalen Versilberrunden zusammengetragen. Besonders gut gefällt uns, die mit 80 Jahren den Umgang mit dem Smartphone erlernte. Sie sagt ganz offen: „Ich habe die Scheu verloren, junge Leute im Bus oder im Café zu fragen, wie Funktionen auf dem Smartphone funktionieren. Frau Hirche rät uns immer, das doch zu tun! Es ist herrlich, wie begeistert mir dann geholfen wird. Ganz ehrlich, manchmal frage ich nur, um mit den netten jungen Menschen in Kontakt zu kommen, und das klappt fast immer.“
Um den Einstieg zu erleichtern, enthält das Buch ein leicht verständliches Glossar. Darin werden wichtige Begriffe rund um das Surfen im Internet erklärt.
Digital unterwegs bis ins hohe Alter
Das Mutmachbuch richtet sich in erster Linie an jene Leserinnen und Leser, die noch einen kleinen Anstoß brauchen, um sich der digitalen Herausforderung zu stellen. Zugleich ist das Buch aber auch für jüngere und digital aufgeschlossenere Leser eine Offenbarung. Die Vorstellung interessanter Projekte und Gründer zeigt, wie vielfältig das Leben im Alter sein kann. Gleichzeitig fehlt nicht der Appell, wie wichtig die digitale Teilhabe für alle ist. Dabei geht es um mehr als kostenfreies WLAN im Altenheim. Wer sich dem Internet verschließt, hat auch keinen Zugang zu Onlinebanking oder dem Onlinekauf einer Zugfahrkarte. Da viele Unternehmen immer stärker an Serviceleistungen sparen, können manche Dinge offline nicht mehr genutzt werden. Wer dann nicht ständig jüngere Verwandte oder Nachbarn um Hilfe bitten möchte, kommt um das Internet nicht herum. Neben diesen praktischen Alltagsfragen ermöglicht das Internet auch Begegnung, Information und Unterhaltung.
Nach der Lektüre des Buches haben wir mit Dagmar Hirche über seine Entstehungsgeschichte gesprochen.
Frau Hirche, gab es einen besonderen Anlass, der Sie motiviert hat, das Mutmachbuch zu schreiben?
Dagmar Hirche: Durch unsere kostenfreien Gesprächsrunden erfahren wir immer wieder, wie viele Menschen 70+ sich nicht trauen, den ersten Schritt in die digitale Welt zu wagen. Da wir so tolle Teilnehmer haben, die das Gegenteil beweisen, wollten wir anderen Mut machen. Wir wollten kein Fachbuch schreiben, sondern ein Mutmachbuch herausbringen, das auch Kindern und Enkel ihren Angehörigen schenken können, damit diese den Mut finden, mit in die digitale Welt zu kommen.
In Ihrem Buch interviewen und porträtieren Sie viele interessante Personen der Altersgruppe Ü65 sowie Menschen, die mit Älteren arbeiten. Welche Gesprächspartner haben Sie am meisten beeindruckt und warum?
Dagmar Hirche: Wir haben tolle Mitstreiter aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft gefunden, aber am meisten begeistern mich immer noch unsere Teilnehmer. Je älter sie sind, umso beeindruckender finde ich ihre Begeisterung, mit in die digitale Welt zu kommen. Besonders die Geduld, immer wieder die gleichen Herausforderungen anzunehmen, bis die Hürde genommen ist. Auch wenn die Teilnehmer 86 oder 91 Jahre sind und seit drei Jahren einmal die Woche Neues dazulernen oder altes Digitalwissen wiederholen.
Mit Ihrer Mission, ein positives Bild vom Alter zu vermitteln und das Netz zu versilbern sprechen Sie regelmäßig bei Veranstaltungen mit einem jüngeren Publikum wie der re:publica oder den TedxTalks. Haben Sie aus dem Feedback auf Ihre Vorträge und die Gespräche mit Teilnehmern neue Ideen für Ihre Arbeit mitgenommen?
Dagmar Hirche: Mich begeistern immer wieder das große Interesse und die Bereitschaft, das Thema Alter, Digitalisierung und Bildung mit anderen Augen zu sehen und modern anzugehen. Oft werden die Hürden gar nicht gesehen: Wenn man darauf hinweist und anbietet gemeinsam Lösungen zu finden, öffnen sich viele Türen und wir entwickeln gemeinsam Generationenprojekte rund um das Thema.
Womit tun sich die Silver Surfer besonders schwer, wenn sie mit Ihnen ihre ersten Schritte ins Internet unternehmen? Fallen Ihnen dabei Unterschiede zwischen den weiblichen und männlichen Teilnehmern Ihrer Kurse auf?
Dagmar Hirche: Schwer sind die ersten Schritte und die schnellen Veränderungen durch Updates, so muss Gelerntes sehr schnell wieder angepasst werden. Ein Unterschied ist, dass 90 Prozent Frauen in unsere Runden kommen. Sie wollen wissen, wie es funktioniert und Männer wollen oft auch wissen warum. Da komme ich dann an meine Grenzen. ??
Kann aus Ihrer Sicht wirklich jeder digitale Themen erlernen oder sind Sie schon an Ihre Grenzen gestoßen?
Dagmar Hirche: Nein, es gab nur fünf Prozent unserer Teilnehmer, die ohne gesundheitliche Einschränkungen aufgegeben haben. Auch bei Einschränkungen wie Sehbehinderungen, Demenz oder Zittern müsste es noch spezielle Angebote geben. In diesen Fällen können wir nur eingeschränkt helfen, einmal aus Zeitgründen aber auch, weil uns das Fachwissen fehlt. Bestimmt gibt es mit dem richtigen Ansatz hier viele Möglichkeiten.
Liebe Frau Hirche, wir danken Ihnen für das Gespräch und hoffen, dass Ihr Mutmachbuch noch viele Senioren ins Internet lockt.