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Ich erinnere mich genau an den Frühlingstag im Jahr 2019, als ich meine Eltern besuchte. Mir fielen kleine Veränderungen im Verhalten meiner Mutter auf. Sie schaute anders, als sie früher geschaut hat. Sie verwendete Ausdrücke, die mich überraschten. In der Summe wirkte sie leicht verändert. Das eine oder andere Detail war mir schon im Jahr zuvor aufgefallen. Damals fragte ich meine Schwester, ob ich Gespenster sehe oder sie Ähnliches bemerkt habe. Sie hatte zu dem Zeitpunkt nichts Ungewöhnliches wahrgenommen und beruhigte mich.

Doch nun meldete sich mein Bauchgefühl vehement. Als sich meine Mutter nach dem Mittagessen schlafen legte, sprach ich mit meinem Vater. Ich konfrontierte ihn sehr direkt mit meinen Beobachtungen. Er brach in Tränen aus, was für ihn ungewöhnlich war. Als Kriegskind hatte er gelernt, seine Gefühle zu verbergen. Schnell bestätigte er meinen Verdacht auf Demenz und erzählte mir, was sich im Alltag meiner Eltern verändert hat.

Es ist für jeden Angehörigen eine große Herausforderung den gelibten Menschen in der Demenz zu begleiten. Bildquelle: © Getty Images / Unsplash.com
Es ist für jeden Angehörigen eine große Herausforderung den gelibten Menschen in der Demenz zu begleiten. Bildquelle: © Getty Images / Unsplash.com

Die Demenz akzeptieren lernen

Nachdem meine Mutter ihr Schläfchen beendet hatte, lud ich sie zu einem Spaziergang durch die Frühlingssonne ein. Durch meine neue Erkenntnis achtete ich darauf, wie sicher sie den Weg kannte. Während unseres Spaziergangs kam mir das Gespräch mit meinem Vater wie ein falscher Film vor. Meine Mutter wusste zu jedem Zeitpunkt exakt, wo wir waren und wohin wir gehen wollten. Da ich mich am Wohnort meiner Eltern nicht so gut auskannte, war ich davon beeindruckt.

Demenz ist eine Krankheit, die „progredient“ verläuft. Der Zustand des an Demenz erkrankten Menschen verschlechtert sich also im Laufe der Zeit. Wie genau und wie schnell lässt sich in der Regel nicht vorhersagen. Außerdem gibt es eine große Bandbreite von Demenzvarianten. Und natürlich ist jeder Mensch einzigartig. Meine Mutter hat viel für ihre Gesundheit getan. Sie kochte mit frischen Zutaten, bewegte sich viel, pflegte Kontakte und lernte im Chor alle Lieder auswendig. Vielleicht fragen Sie sich jetzt besorgt, ob Prävention überhaupt etwas bringt. Ich bin keine Ärztin, denke aber, dass sie schon früher erkrankt wäre, wenn sie weniger gesund gelebt hätte.

Mit Unterstützung geht es bei Demenz besser

Die Corona-Pandemie im Folgejahr tat meiner Mutter nicht gut. Sie erkrankte glücklicherweise nicht, litt aber unter den Kontaktbeschränkungen. Da meine Eltern nicht nur 59plus, sondern sogar 80plus waren, kamen sie bei der Impfung früh zum Zuge. Nach den Impfungen und der schrittweisen Rückkehr zur Normalität konnte ich endlich externe Unterstützung organisieren. Meine Schwester und ich unterstützten längst sehr regelmäßig unsere Eltern. Wir wollten ihnen so lange wie möglich das selbstbestimmte Leben in ihrer Wohnung ermöglichen. Dabei ist es wichtig, immer ein bis zwei Schritte vorauszudenken. Auch jetzt schon brauchten wir zwingend weitere Helfer, da meine Schwester und ich voll berufstätig waren. Deshalb sorgten wir dafür, dass meine Mutter einen Pflegegrad bekam.

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Was sind Kombileistungen?

Einen Antrag auf Pflegegrad zu stellen, fällt den pflegebedürftigen Menschen oft schwer. Wenn Sie Überzeugungsarbeit leisten müssen, können Sie mit der Flexibilität argumentieren. Es muss nicht sofort ein Pflegedienst beauftragt werden. Zunächst bekam mein Vater als pflegende Person das Pflegegeld ausgezahlt. Nach einiger Zeit konnte ich ihn überzeugen, auf „Kombileistungen“ umzustellen. Was bedeutet das? Als Kombileistung erhöht sich das Budget. Es kann komplett für die Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes ausgegeben werden. Sofern das Geld dafür nicht vollständig aufgebraucht wird, wird der Rest anteilig als Pflegegeld ausgezahlt. Das ist ein sehr flexibles Konzept.

Sich Menschen öffnen, die bei Demenz unterstützen

Die Unterstützung durch „fremde Menschen“ war für meinen Vater zunächst schwer zu akzeptieren. Es war ein schmaler Grat zu helfen, ohne zu bevormunden. Doch Schritt für Schritt konnte ich die nötige Unterstützung einbauen. Es ging mit Birgit L. los, die ehrenamtlich für die Demenz-Hilfe und das Projekt „Freiräume“ tätig war. Sie kam einmal pro Woche zu meinen Eltern. Wenn nichts Konkretes anstand, ging sie mit meiner Mutter spazieren oder las ihr etwas vor. Als die Demenz voranschritt, ermöglichte sie meinem Vater Termine einzuhalten, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Er konnte entspannt zum Arzt gehen, während Birgit bei meiner Mutter blieb. Ich bin mit ihr bis heute in Kontakt, weil wir uns als Familie ihr gegenüber geöffnet haben. Sie hat mir bestätigt, dass das ein wichtiger Aspekt ist. Je mehr wir sie eingebunden und informiert haben, desto besser konnte sie uns unterstützen.

Die Kosten für das Projekt Freiräume wurden über den Entlastungsbetrag abgerechnet. Wer mit Pflegegrad zu Hause versorgt wird, dem steht pro Monat ein Entlastungsbetrag von 131 Euro (bis Ende 2024: 125 Euro) zu. Dieses Geld wird nicht ausgezahlt, kann aber für „Sachleistungen“ genutzt werden.

Weitere Hilfe durch den ambulanten Pflegedienst

Als Nächstes organisierten wir den ambulanten Pflegedienst. Wir einigen uns darauf, dass einmal pro Woche eine Pflegekraft kommen sollte. Mein Vater hatte die Vorstellung im Kopf, dass diese künftig donnerstags pünktlich um 10:00 Uhr klingeln würde. Ich erklärte ihm, dass das so exakt nicht immer möglich sein wird. Glücklicherweise war unser Pflegedienst zuverlässig und rief an, wenn sich der Termin deutlich verschieben würde. Nach anfänglicher Skepsis war mein Vater über diese Besuche sehr erfreut, denn er wurde entlastet. Er musste nur noch den Föhn und frische Handtücher bereitlegen.

Entlastung durch eine Haushaltshilfe

Als nächsten Baustein organisierte ich „haushaltsnahe Dienstleistungen“. Dafür musste ich einen anderen Pflegedienst beauftragen, da nicht alle Pflegedienste so etwas anbieten. Das war aber kein Problem. Auch sie kam einmal pro Woche, um zu putzen oder Einkäufe zu erledigen. Das musste sich etwas einspielen, klappte aber nach einer Weile hervorragend.

Meine Mutter war immer eine begeisterte Köchin, die viel Freude an abwechslungsreichen Gerichten hatte. Die Demenz sorgte leider dafür, dass ihr diese Fähigkeit verloren ging. Und nun überraschte mich mein Vater und strafte allen Lüge, die behaupten, dass alte Menschen nicht mehr lernfähig seien. Er hatte zwar nie gekocht, war aber großer Fan von Kochsendungen. Auch wenn sein Repertoire nicht an das von Tim Mälzer herankam, so gelangen ihm doch kleine Speisen mit gesunden Zutaten. Meist gab es Geflügel mit Kartoffeln oder Fertigknödeln und frisches Gemüse vom Markt.

Grenzen Sie die Betrofffenen nicht aus, sondern versucehn Sie sie auf eine spielerische Art und Weise weiter in Abläufe einzubinden. Aber sorgen Sie unebdingt auch für eigene Auszeiten. Bildquelle © Getty Images / Unsplash.com
Grenzen Sie die Betrofffenen nicht aus, sondern versucehn Sie sie auf eine spielerische Art und Weise weiter in Abläufe einzubinden. Aber sorgen Sie unebdingt auch für eigene Auszeiten. Bildquelle © Getty Images / Unsplash.com

Leckere Alternativen zum selbst kochen

Als er sich mehr um meine Mutter kümmern musste, wurde ihm das Kochen langsam zu viel. Mein Vorschlag „Essen auf Rädern“ wurde zunächst wenig wohlwollend aufgenommen. Die heutigen Lieferdienste sind aber sehr flexibel und haben ein breites Angebot. Sie müssen sich nicht für die ganze Woche oder gar einen längeren Zeitraum festlegen.

Deshalb bestellte ich für ein Probeessen drei Portionen, damit auch ich mir eine Meinung verschaffen konnte. Und siehe da, die Begeisterung meiner Eltern war groß. Pünktlich wurde ein frisch gekochtes und leckeres Essen gutbürgerlicher Küche geliefert. Jeden Tag Essen auf Rädern wollte mein Vater trotzdem nicht. Zum Glück gab es ein Restaurant mit Mittagstisch in der Nähe und einen Metzger, der Mittagessen auslieferte. So blieb der Speiseplan meiner Eltern mit wenig Aufwand abwechslungsreich. Einmal pro Woche kochte mein Vater und an einem anderen Tag gab es Suppe aus der Dose und selbst gekochten Pudding.

Anders essen mit Demenz

Interessant war zu beobachten, dass meine Mutter im Laufe der Demenzerkrankung mehr gegessen hat. Früher hatte sie streng auf ihre Figur geachtet und war bei Süßigkeiten zurückhaltend. Während meine Schwester und ich uns auf die Schokolade stürzten, reichte meiner Mutter ein winziges Stück. Doch nun genoss sie herzhaftes Essen oder Kuchen. Mich freute das sehr, weil es ihre Lebensfreude zeigte. Auch als ihre Krankheit später sehr stark fortgeschritten war, blieb die Freude an Eis oder einem leckeren Stück Kuchen.

Das ist der erste Teil meines Erfahrungsberichts. Im nächsten Teil werde ich Ihnen erzählen, wie es mit meiner Familie weiterging.

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