Die Medizinjournalistin Cornelia Stolze hat ihr zweites Buch Verdacht Demenz veröffentlicht. Nachdem sie bereits 2011 mit dem Sachbuch Vergiss Alzheimer aufdeckte, wie namhafte Forscher, Mediziner und Industrie die Öffentlichkeit seit Jahren mit Fehlinformationen zu Demenz in die Irre führen und mit falschen Versprechen Geschäfte machen.
Wir sprachen mit der Diplombiologin und Bestseller-Autorin über ihr neues Buch.
Frau Stolze, Ihr neues Buch ist ein Ratgeber, der Tipps gibt, wie man mit ersten Anzeichen von Vergesslichkeit umgeht und sich vor einer Fehldiagnose schützen kann. An wen richtet sich das Buch?
Das Buch richtet sich an eine breite Öffentlichkeit, denn Umfragen haben gezeigt, dass die Angst sehr groß ist, an Demenz zu erkranken. Zuerst einmal an Betroffene und Angehörige von Menschen, die Demenz-Symptome wie Vergesslichkeit und Verwirrtheit zeigen. Oder dies bei dem Partner, der Partnerin, Freunden und Angehörigen bemerken. Viele fragen sich “Ist das jetzt schon Demenz? Wie kläre ich das ab und was könnte dahinter stecken?“
Das Buch ist aber auch für alle jene Mediziner hilfreich und interessant, die selbst keine Demenz-Experten sind, aber in ihren täglichen Arbeit viel mit älteren Patienten zu tun haben. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass bis zu drei Viertel aller Demenz-Diagnosen falsch sind.
Das liegt unter anderem daran, dass man als Arzt gar nicht ohne weiteres unterscheiden kann, ob ein Patient, der verwirrt oder vergesslich ist, an einer unheilbaren Demenz leidet, oder aber einem demenzähnlichen Zustand, der sich gut behandeln lässt, wenn man die Ursache gefunden hat. Fakt ist auch, dass fast kein Patient anhand der strengen klinischen Kriterien untersucht wird.
Sie weisen darauf hin, dass hinter Vergesslichkeit und Gedächtnislücken häufig Ursachen stecken, die sich beheben lassen. Welche sind das?
Es gibt eine große Vielzahl von Ursachen, die zu demenzähnlichen Zuständen führen. Das können Hirnverletzungen wie etwa durch eine Gehirnerschütterung oder aber Erkrankungen wie gehäufte Schlaganfälle, Infektionen, Schilddrüsenstörungen sein. Demenzähnliche Zustände entstehen zum Teil aber auch einfach aufgrund von Flüssigkeitsmangel, denn gerade ältere Menschen trinken zu wenig oder verlieren Wasser, weil sie bestimmte Medikamente nehmen. Auch Natriummangel kann durch bestimmte Arzneimittel auftreten.
Überhaupt spielen Medikamente eine große Rolle. Viele weit verbreitete Präparate wie Blutdrucksenker, Schmerzmittel, Tabletten gegen Osteoporose oder Cholesterinsenker können die Gehirnfunktionen erheblich beeinträchtigen. Besonders problematisch sind auch Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine wie Tavor oder Valium. Denn diese Medikamente machen sehr schnell abhängig. Wer die Mittel über längere Zeit schluckt, hat ein deutlich erhöhtes Risiko für Demenz.
Und nicht nur das. Beim Absetzen dieser Medikamente kommt es zu Entzugserscheinungen, die einer Demenz stark ähneln und damit schnell verwechselt werden können. Besonders wenn Menschen älter werden und mehrere Medikamente zu sich nehmen, kann es zudem zu Wechselwirkungen kommen. Manchmal passiert dies zeitverzögert, also auch Medikamente, die lange gut vertragen wurden, können ab einem bestimmten Zeitpunkt Beschwerden verursachen.
Woran liegt das?
Im Laufe des Alters verändert sich der Körper. Vor allem die entgiftende Funktion von Leber und Nieren nimmt ab, d.h. Wirkstoffkonzentrationen, die für einen jungen Menschen angemessen sind, können im Alter nicht mehr im selben Maße vom Körper abgebaut und ausgeschieden werden wie früher.
Erhält ein hochbetagter Patient dann dieselbe Dosis wie ein jüngerer, ist der Wirkstoffpegel im Körper viel höher als er eigentlich sein soll. Auch Infektionen im höheren Alter oder Herzkreislaufprobleme können Verwirrung verursachen. Ähnliches gilt für Operationen mit Vollnarkose, die ältere Menschen nicht mehr so gut vertragen. Größere chirurgische Eingriffe lösen häufig einen akuten Verwirrtheitszustand aus, der gezielt behandelt werden muss. Das aber wird sehr häufig übersehen, weil die meisten Betroffenen ruhig im Bett liegen und sich kaum bewegen.
Wie kann ich mich als Betroffener oder als Angehöriger vor einer Fehldiagnose schützen?
Wichtig ist vor allem, skeptisch zu sein, wenn die Diagnose Demenz sehr schnell gestellt wird. Die Diagnose überhaupt in Frage zu stellen, ist ein entscheidender Schritt. Gerade dann, wenn die oder der Betroffene bis vor kurzem noch fit war, aber wegen eines Sturzes ins Krankenhaus und operiert werden musste und nach drei Wochen immer noch verwirrt und in einem schlechten geistigen Zustand ist. Oft lautet die Diagnose der Ärzte bei der Entlassung Demenz.
Das ist der erste Fehler. Denn Demenz ist so definiert, dass die Diagnose erst gestellt werden darf, wenn viele höhere geistige Funktionen gestört sind und wenn diese Störungen über mindestens sechs Monate bestanden haben. Das aber wissen oder beachten viele Ärzte nicht. Die Definition von Demenz nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft ist genau im Buch beschrieben. Ganz wichtig ist, dass die Angehörigen dem Arzt Informationen über die Krankheitsgeschichte des Patienten liefern und ihm eine Medikamentenliste geben, die auch über Dauer und Menge der Medikamenteneinnahme informiert.
Man sollte sich bewusst machen, dass Ärzte zwar davon überzeugt sind, was sie diagnostizieren und welche Medikamente sie verschreiben, aber nicht unfehlbar sind. Und sich viele Beschwerden nicht nur mit Medikamenten beheben lassen, sondern auch Ausdruck eines ungesunden Lebensstils sein können und dauerhaft durch eine ausgewogenere Ernährung, genügend Flüssigkeit, Bewegung usw. gelindert werden könnten.
Was möchten Sie mit Ihrem neuen Buch erreichen?
Ich möchte verhindern, dass verwirrte, vergessliche Menschen vorschnell zu Demenzkranken abgestempelt werden. Wichtig ist mir deshalb zu zeigen, dass hinter Gedächtnisstörungen, Verwirrtheit oder Halluzinationen häufig keine unheilbare Krankheit steckt, sondern Ursachen, die sich gut beheben oder verhindern lassen. Und warum Patienten und Angehörige gut daran tun, ihre Ärzte aktiv bei der Suche nach den wahren Ursachen zu unterstützen. Dann nämlich sind die Chancen groß, wieder geistig gesund zu werden – und zu bleiben.
Zudem möchte ich mit meinem Buch vielen Menschen unnötige Ängste nehmen. Zahlreiche Senioren sind heute nämlich allein durch den normalen Alterungsprozess tief verunsichert. Sie spüren, dass allmählich die Auffassungsgabe nachlässt, die Merkfähigkeit schwindet und die Reaktionsfähigkeit zurückgeht und fürchten, das könnte jetzt Richtung Demenz und Pflegeheim gehen.
Tatsächlich berichten Mediziner, dass es inzwischen viele besorgte Gesunde gibt, die vorschnell glauben, an Demenz erkrankt zu sein und sich schreckliche Sorgen machen. Sorgen und Ängste aber sind psychischer Stress, der gar nicht gut ist für unser Gehirn und unsere Konzentrations- und Merkfähigkeit. Das kann ein Teufelskreis mit einem sich selbst verstärkenden Mechanismus werden. Dieser Verunsicherung möchte ich mit meinem Buch entgegentreten.
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