Am 23. April jährt sich der 400. Todestag von William Shakespeare. Passend zu diesem Termin inszeniert Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt Shakespeares „Der Sturm“. Ein Stück über Magie, Intrige, Rache und Vergebung.
Das Stückmotiv der Verstrickung und des Gefangenseins ist bereits im ersten Bild ersichtlich: Auf einer riesigen, frontal hängenden Holzplane sind Bootsmänner in Schiffskletterstricke verheddert. Sie wirken wie erstarrt oder gar wie tot, ihre Blicke sind starr, ihre reglosen Gesichter zeigen Angst und Qual. Luftgeist Ariel (die vielseitige Franziska Junge) tapst suchend mit einer Taschenlampe unter diesem Schreckens-Tableau vorbei. Sie liefert zunächst ein hoch-komödiantisches Kabinettstück des Slapsticks an einem Klavier ab, bevor urplötzlich mit „lustig” Schluss ist.
Wie ein Berserker haut Ariel in die Tasten. Es flackern Lichtblitze und die eben noch erstarrte Bootsgesellschaft bricht jäh in unverständliches Gebrüll, fahriges Gestikulieren und Panik aus. Keine zwei Minuten später haben sich die Bootsleute befreit. Sie kommen mit uns ebenfalls gebannten Zuschauern in Prosperos Reich an. Eine Insel, auf der Stille, Langsamkeit und trügerische Idylle herrscht.
Bühnenbild in Asia-Ästhetik
Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg hat wie üblich einen traumverloren-wirkenden Raum geschaffen: Im Knöchel-tiefen Wasser ragt ein überdimensionaler weißer, stilisierter Bonsai in die Höhe. Sein sich nach rechts neigender Stamm erinnert an die „Sturm“-gepeitschten Züchtungen der asiatischen Bäume „Fukinagashi“ oder „Fliegender Drache“.
Auch die weiß-schwarzen Rockkostüme von Andrea Schraad, sowie Ariels weiß-geschminktes Gesicht und lange schwarze Haare sind stark an asiatischer Ästhetik angelegt. Von fern erklingen Panflöten und Gesänge, die auch live von Ariel und seinen Mitgeistern eingespielt werden. Die Schauspieler sprechern größtenteils unaufgeregt. Die Neuübersetzung von Frank-Patrick Steckel ist eine Erstaufführung, seine Sprache poetisch, gestisch und konkret. Alles umgeben von einer beruhigenden und faszinierenden Atmosphäre.
Eng an der Shakespear Vorlage
An dieser Insel strandeten der einstige rechtmäßige Herzog von Mailand Prospero (Felix von Manteuffel) und seine dreijährige Tochter Miranda (Katharina Bach). Zuvor waren beide von Prosperos Bruder und unrechtmäßigem Thronanwärter Antonio (Thorsten Danner) in einem Boot ausgesetzt und aus Mailand verbannt worden. Prospero hatte sich mehr für seine Bücher über weiße Magie interessiert und dadurch seine Staatsangelegenheiten vernachlässigt. Unterstützt wurde Antonio in seinem Komplott vom Neapel-König Alonso (der berührend-trauernde Oliver Kraushaar), dessen Bruder Sebastian (Martin Bentsch) und dessen Sohn Ferdinand (der herrlich-tragikomische Nico Holonics).
Nun, nach zwölf Jahren, waren diese vier Komplott-Verbündeten zusammen mit dem alten Königsberater Gonzalo (Sascha Nathan) und dem Gefolgsmann des Königs Adrian (Christoph Pütthoff) auf dem Schiffsweg zu einer Verlobungsfeier von Ferdinand mit einer ausländischen Prinzessin und umschifften dabei zufällig Prosperos Insel. Der rachsüchtige Prospero schickte seinen Sklaven Luftgeist Ariel auf jenes Schiff, um die Schiffsgesellschaft wahnsinnig und des Schiffsuntergangs glauben zu machen, und sie für seinen Rachefeldzug an seine Insel spülen zu lassen.
Zwischen Freiheit und Knechtschaft
Mit dieser Situation beginnt das Stück und begann, wie anfangs beschrieben, die Aufführung. Im Verlauf des Stücks und der Aufführung werden Prosperos Opfer und Untergebene wie Schachfiguren gegeneinander ausgespielt. Sie werden von Prospero mittels Ariel und seiner Mit-Geister auf Entsetzlichste gepeinigt und schließlich im Moment der schrecklichsten Verwirrung von Prospero als vermeintlicher Retter und Vergebender erlöst. Felix von Manteuffel spielt Prospero zunächst lange als ruhigen, weisen, sanft-melancholischen Zauberer und Vater Mirandas. Urplötzlich zeigt er dann dessen hasserfüllte, despotische Seite.
Am schlimmsten spielt Prospero seinem zweiten Knecht Caliban (rührend gespielt von Michael Benthin), einem missgestalteten Wesen und ehemaligem König der Insel, mit. Deswegen macht sich Caliban die Dummheit und die materialistische Gier der beiden Trunkenbolde Trinculo (ebenfalls Christoph Pütthoff) und Stephano (ebenfalls Sascha Nathan) zunutze. Zunächst verspricht er ihnen den Insel-Thron und schmiedet einen Mordplan gegen Prospero mit ihnen.
Dafür begibt sich Caliban trauriger Weise erneut in Knechtschaft, diesmal gegenüber Stephano. Die Szenen der drei Mord-Anarchisten ist ganz im Sinne von Shakespeares Volkstheater inszeniert: derb, kalauernd, Sinnverspielt und brüllend komisch. Das höchst amüsierte Premierenpublikum dankt es ihnen mit begeistertem Szenenapplaus. Unter anderem wegen Christoph Pütthoffs schönen Wortgags „Ich hänge“ mit der Souffleuse.
Trauer in Bildern
Nach der Pause spitzt sich die Situation zu: Prosperos Rache vollzieht sich und vereitelt den Mordanschlag. Die anfänglichen traumartigen „Ruhe vor dem Sturm“-Bilder von Stille, Langsamkeit und Musikalität, die Kriegenburg u.a. mittels schwebender roter Schirme schaffte, werden nun abgelöst. Sie entwickeln sich in Choreographien der triebhaften Entfesselung, als die Hofgesellschaft von Ariel und seinen Mitgeistern in eine Orgie aus Wollust und Gewalt getrieben wird. Auch hier schaffen es Kriegenburg und sein Ensemble, faszinierende Schönheit und sich steigernder Gewalt mit darunterliegender Traurigkeit zu vermischen. Einer der eindrücklichsten und nachhaltigsten Momente des Abends.
Nachdem Einsicht und Vergebung doch noch erfolgen, Ariel endlich von Prospero in die lange versprochene Freiheit geschickt und Miranda und Ferdinand endlich in wahrer Liebe zu einander gefunden haben, schenken Kriegenburg und Michael Benthin der am schwersten gepeinigten Figur Caliban einen nicht im Stück stehenden letzten wunderschönen Moment: Caliban, wieder allein auf seiner Insel, tanzt vor Freude nackt und wie das „erste menschliche Wesen“ unter dem weißen Baum umher, bevor sich das gesamte Ensemble an die Rampe begibt und Prospero seinen das-Publikum-um-vergebenden-Applaus-Monolog vorliest. Das ergriffen-lauschende Publikum entscheidet sich trotz gesehener Manipulation, Gewaltausübung und Intrige für Vergebung – mit teilweise jubelndem Applaus.