Ist Ihnen das auch schon passiert? Sie holen am Bahnhof Ihren Jugendfreund ab, den Sie lange nicht gesehen haben. «Wir erinnern uns, wie der Freund aussieht, und erzeugen ein möglichst realitätsnahes Bild von ihm im Kopf. Wir mustern die nacheinander erscheinenden Passagiere mit der Erwartung, demnächst das Gesicht unseres Freundes zu entdecken.» Nachdem wir glauben, ihn erspäht zu haben, gehen wir freudig auf ihn zu. «Wir drängen uns an anderen wartenden Personen vorbei und kommen ihm näher. Die herzliche Begrüßung steht unmittelbar bevor, und wir öffnen bereits leicht unsere Arme, und dann – der vermeintliche Freund nimmt keinen Augenkontakt auf und läuft schnurstracks weiter.» Peinlich berührt stellen wir fest, dass der Fremde unserem Freund zwar ähnelt, er aber bei näherer Betrachtung einige Unterschiede aufweist.
Diesen Effekt nennt der Wissenschaftler das Problem der «sensorischen Interferenz». Wir greifen auf unser Vorwissen zurück – und liegen damit in der konkreten Situation falsch. Fred Mast ist Professor für Psychologie an der Universität Bern. In seinem Buch «Black Mamba oder die Macht der Imagination» nutzt er immer wieder Alltagserlebnisse, um seinen Lesern die Wunderwelt des Gehirns zu erklären. Statt zu dozieren, beschreibt er die Phänomene gut verständlich – und zugleich wissenschaftlich fundiert.
Von der Luftspiegelung zur Black Mamba: Die Macht der Imagination
Die Welt der Imagination interessiert und fasziniert den Schweizer Professor schon seit Kindertagen. Früh wurde ihm klar, dass die Imagination auf unserer Wahrnehmung beruht. Mit dieser Fähigkeit können wir in unserem Kopf Situationen simulieren. Dabei werden auch Luftspiegelungen zu Pfützen, die gar nicht da sind – ähnlich der Fata Morgana in einer Wüste.
Herr Professor Mast, wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über die Kraft der Imagination zu schreiben?
„Als kognitiver Psychologe erforsche ich mentale Funktionen wie die Wahrnehmung, das Gedächtnis oder eben unser Vorstellungsvermögen. Letzteres macht uns Menschen zu dem, was wir sind, wird aber oft nicht gebührend gewürdigt. Es war mir ein Anliegen, die zentrale Rolle der Imagination hervorzuheben.“
Als renommierter Wissenschaftler ist Mast den Austausch mit anderen Forschern gewohnt. Mit der Black Mamba spricht er jedoch eine breite Leserschaft aller Altersgruppen an, unabhängig von ihrer Vorbildung.
Herr Professor Mast, warum eignet sich Ihr Buch für alle Leser und nicht nur für Gehirnspezialisten oder andere Wissenschaftler?
„Alle Menschen haben Fantasie und Vorstellung und somit einen direkten und ihnen eigenen Zugang zum Thema. Es war mir ein Anliegen, ein anspruchsvolles Buch für eine interessierte Leserschaft zu schreiben. Aktuelle Forschungen und Entwicklungen werden einbezogen und – wie ich hoffe – verständlich dargestellt.“
Wie können wir Stürze im Alter verhindern?
Die Verständlichkeit ist ihm gelungen: Als Sahnehäubchen garniert er das Buch mit eigenen Erlebnissen und passenden Referenzen zu bekannten Filmen.
Ein wichtiges Thema ist der „Simulator im Kopf“. Mast erklärt, dass sich mit der Kraft der Vorstellung die Koordination oder die Fitness verbessern kann. Dieses Thema ist im Zuge des Älterwerdens interessant, denn für ältere Menschen ist es wichtig, geistig und körperlich fit zu bleiben. Mit dem Alter steigt die Gefahr zu stürzen und das kann gravierende Folgen haben. Deshalb gibt es zur Prävention mittlerweile Kurse, in denen Senioren ihren Gleichgewichtsinn stärken und dem Muskelabbau entgegenwirken.
Herr Professor Mast, kann die Kraft der Vorstellung einen Kurs zur Sturzprävention ersetzen oder sinnvoll ergänzen? Und wie sieht es aus Ihrer Sicht bei der Heilung von Krankheiten aus: Lässt sich der Heilungsprozess damit beschleunigen?
„Stürze und ihre Folgen sind in der Tat sehr gefährlich, insbesondere wenn jemand allein lebt. Das hängt damit zusammen, dass das Gleichgewichtsorgan mit zunehmendem Alter schneller als andere Sinnesorgane seine Sensitivität verliert. Unsere Forschungen zeigen aber, dass das Gleichgewicht mit kognitiven Funktionen zusammenhängt. Es ist einerseits ratsam, Tätigkeiten nachzugehen, die das Gleichgewicht herausfordern, wie Tanzen. Andererseits kann die Kraft der Vorstellung die körperlichen Fähigkeiten unterstützen und den Heilungsverlauf bei Krankheiten positiv beeinflussen.“
Senioren zocken und verbessern damit ihre kognitiven Fähigkeiten
Videospiele werden oft kritisch beurteilt und pauschal als brutale und gefährliche «Ballerspiele» abgetan. Doch zeigen Studien, dass solche Spiele das räumliche Denken und das Wahrnehmungsvermögen fördern. Mittlerweile entdecken auch ältere Menschen die Freude am Videospiel und der YouTube-Kanal «Senioren zocken» hat über eine halbe Million Abonnenten.
Herr Professor Mast, würden Sie älteren Menschen empfehlen, mit Ihren Kindern oder Enkeln Videospiele zu spielen? Und wenn ja, kann sich dadurch in jedem Alter das räumliche Denken und das Wahrnehmungsvermögen der Konsolenspieler verbessern?
„Das würde ich in der Tat empfehlen. Wir beobachten einen Trend zur „Gamification“: Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits- oder Gedächtnistrainings funktionieren besser, wenn sie in eine Spielsituation eingebunden sind. Das steigert die Motivation. Videospiele steigern nachweislich unsere kognitiven Funktionen. Die Idee ist natürlich nicht, dass Sie Ihren ganzen Tag nur noch mit Videospielen verbringen sollen. Aber eine Stunde pro Tag bringt Abwechslung und macht Spaß. Man muss am Anfang etwas investieren und soll sich nicht gleich entmutigen lassen, wenn die Handhabung noch nicht vertraut ist. Die guten Spiele sind (noch) nicht für ältere Menschen konzipiert, die eben nicht mit der Konsole aufgewachsen sind. Probieren darf man es trotzdem. Die Enkelkinder helfen dabei doch gerne.“
Professor Mast, wir danken Ihnen ganz herzlich für den Einblick in Ihr Buch.
Haben wir Sie neugierig gemacht und möchten Sie nun herausfinden, warum das Buch die Black Mamba im Titel trägt? Dann nehmen Sie an unserem Gewinnspiel teil. Wir verlosen zwei Exemplare des Buchs «Black Mamba oder die Macht der Imagination. Wie unser Gehirn die Wirklichkeit bestimmt» aus dem Herder Verlag.