Die Beschäftigung mit unserer Sterblichkeit ist oft schmerzhaft und angstbesetzt. Für ehrenamtliche Sterbebegleiter ist dies ein selbstverständlicher Teil ihres Alltags, für das sie sich ganz bewusst entschieden haben. Wie auch unser Leser Herbert Jochen, mit dem wir über seine Beweggründe und Erfahrungen gesprochen haben.
Herr Jochen, Ihre Frau ist vor elf Jahren an Knochenkrebs gestorben. War das für Sie der Auslöser, sich zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter ausbilden zu lassen?
Wenn meine Frau nicht verstorben wäre, wäre ich nie mit dem Ehrenamt in Verbindung gekommen. Meine Frau war unheilbar an Krebs erkrankt und die Schmerzen waren durch den Hausarzt nicht in den Griff zu bekommen. Dann hat sie im Fernsehen einen Bericht gesehen über die Eröffnung der Palliativstation in einer Hamburger Diakonieklinik und hat gesagt, da will ich hin. Innerhalb von zwei Tagen war das möglich. Nach 14 Tagen mussten wir entscheiden, ob sie wieder nach Hause oder ins Hospiz gehen möchte. Ich habe mir dann ein Hospiz angeschaut, wo ich auch bei ihr über Nacht bleiben konnte, was für sie sehr wichtig war. Sie entschied sich dann für das Hospiz. Weil sie sicher war, dass sie keinen Rückfall haben würde mit ihren Schmerzen, da die Medikation weiterhin so betrieben werden konnte. Das war sehr angenehm für uns beide.
Was war auf der Palliativstation und im Hospiz anders als im Krankenhaus?
An ihrem Krankenbett saßen immer viele Besucher – Freunde und Sterbebegleiter – die erzählt haben aus ihrem Alltag oder von ihren Reisen. Meine Frau konnte den Gesprächen folgen und hat aufmerksam zugehört. Das hat mich sehr bewegt, weil sie keine Schmerzen hatte und sich wirklich darauf konzentrieren konnte. Das hat mir gezeigt, dass sie dadurch abgelenkt worden ist von ihrem Leid und das ist auch unsere Aufgabe als Ehrenamtliche für Ablenkung zu sorgen.
Ich habe das als Verpflichtung meiner Frau gegenüber gespürt, weil ich gesehen habe, wie gut ihr die Betreuung und die Besuche getan haben. Und diese Entlastung in ihrem Sinne an andere Menschen weiterzugeben, hat mich angetrieben, die Ausbildung zu machen. Ich bin meiner Intuition gefolgt. Eine Freundin hat mir abgeraten, weil mich die Arbeit mit Sterbenden zu sehr runterziehen würde, aber ich bin dabei geblieben und ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht.
Sie haben dann 2009 in Hamburg im ambulanten Hospizdienst der Diakonie Alten Eichen die Ausbildung zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter begonnen. Wie läuft so eine Ausbildung ab?
Die Ausbildung ging über ein halbes Jahr, für die ich 200 Euro bezahlt habe. Das Geld habe ich aber wieder bekommen, als ich mich verpflichtet hatte, ein Jahr meinen Dienst zu verrichten. Es gibt drei Unterrichtseinheiten: Einen Vorbereitungskurs, in dem es um die biblische Emmausgeschichte geht und die wichtigsten Eckpunkte in der Begleitung: mitgehen, wahrnehmen, erkennen und begleiten. Dann kommt ein Praktikum, in dem wir Patienten betreuen und auch Supervision erhalten und zum Schluss kommt noch mal ein Folgekurs. Das dauert ungefähr so ein halbes Jahr. Das Wichtigste ist, dass wir nicht missionieren, sondern auf den Patienten eingehen.
Wie gehen Sie auf den Patienten ein?
Einer Patientin, einer älteren Dame, habe ich immer aus dem Hamburger Abendblatt vorgelesen. Sie saß immer in ihrem Stuhl, wir haben uns sehr nett unterhalten und dann hat sie gesehen, ach, der schwedische Prinz heiratet jetzt auch. Und dann sagte sie zu mir:” Ach, muss der auch jetzt ran.” Das sind schöne Momente. Es geht darum, sich in die Patienten einzufühlen.
Dieselbe Patientin hat mir auch viel aus der Kindheit erzählt. Mit ihrem verstorbenen Mann war sie auch mal in Norwegen und beim nächsten Mal habe ich ein dickes Buch von den Hurtigruten mitgebracht und mit ihr angesehen. Als sie erzählte, sie seiimmer noch verliebt in ihren Mann, habe ihr auf meinem Tablet das Lied „Ganz Paris träumt von der Liebe“ von Catarina Valente vorgespielt. Sie lag im Bett mit geschlossenen Augen und als das Lied zu Ende war, sagte sie, ich schwebe. Das war wunderschön. Das meine ich damit, dass man sich in den Patienten hineinversetzen und versuchen muss, herauszufinden, was sie einem wirklich sagen wollen, was im Hintergrund mitschwingt.
Das Neueste ist, dass ich Vogelstimmen auf mein Tablet heruntergeladen habe und sie dann vorspiele. Dabei erzähle ich eine Geschichte und zwischendurch lasse ich die Vogelstimmen erklingen. Den Patienten tut gut, wenn sie merken, dass jemand sich Mühe gibt, auf sie einzugehen.
Wie kommen die Patienten zu Ihnen?
Anfragen kommen entweder von den Heimen direkt, mit denen wir einen Vertrag haben oder von der Schmerzambulanz SAPV, die die Patienten auch zu Hause betreut. Die Koordinatoren schauen, wer von den Ehrenamtlichen am besten zu welchem Patienten passt. In unserer Diakonie haben wir vier Koordinatoren und ungefähr 40 Ehrenamtliche. Wenn wir dann mit den Angehörigen sprechen, können wir uns weitere Informationen besorgen, um besser auf den Patienten eingehen zu können.
Wie viele Patienten begleiten Sie?
Ich begleite immer nur einen Patienten. Momentan habe ich keinen, sondern ich bin die Feuerwehr (lacht). Wenn meine Chefin anruft und sagt, ich habe da einen Patienten, der liegt im Sterben, dann lasse ich alles stehen und liegen, weil mir die Patienten und Angehörigen sehr wichtig sind. Die Angehörigen sind oft ungeheuer dankbar, da sie das sehr entlastet, wenn jemand da ist, der sich um den Sterbenden kümmert, damit nicht alles auf ihren Schultern abgeladen wird. Das ist sehr wichtig, dass wir auch die Angehörigen mit einbeziehen und versuchen zu entlasten.
Für die meisten ist das eher eine erschreckende Vorstellung mit todkranken oder mit sterbenden Menschen so viel Zeit zu verbringen. Warum ist es für Sie erfüllend?
Wenn man nach seiner Intuition handelt und die Dinge tut, die für einen vorgesehen sind, dann sind auch solche schweren Tätigkeiten leicht für die Leute oder wie für mich mein Ehrenamt. Aber es ist nicht für jeden das Richtige. Das muss jeder für sich selbst herausfinden.
Hat das Ehrenamt ihr Leben verändert?
Ich war Versandleiter in einem Maschinenbaubetrieb hier in Hamburg. Dort bin ich von 1991 bis zu meiner Rente 2009 beschäftigte gewesen und hatte bis zur Erkrankung meiner Frau damit gar nichts zu tun. Aber ich war schon immer interessiert an der Frage, was nach dem Tod kommt. Meine Oma hat immer gesagt, die letzte Stunde ist jedem vorbestimmt. Das hat mir keine Angst gemacht, sondern das war eher beruhigend für mich. Das stärkt mich in meinem Ehrenamt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Beeindruckend! Ich spiele auch mit dem Gedanken, eine solche Ausbildung zu machen. Wann der richtige Zeitpunkt ist, wird sich zeigen. Ich glaube auch, dass man hier einfach seinem inneren Ruf folgen muss. Wirklich ganz tolle und wichtige Arbeit!
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Vielleicht ist dieses Interview ja ein weiterer wichtiger Baustein auf dem Weg zur Entscheidung und Umsetzung. Es würde uns sehr freuen! Herzliche Grüße von der Redaktion