Der Journalist und TV-Moderator Sven Kuntze beschäftigt sich seit seinem Ruhestand 2007 mit der Frage, wie gutes Leben im Alter gelingen kann. Davor berichtete er für den WDR aus Bonn, New York und Washington, moderierte ab 1993 das ARD-Morgenmagazin und ging mit dem Regierungsumzug nach Berlin, wo er als Hauptstadtkorrespondent arbeitete. Nach seinem Bestseller “Altern wie ein Gentleman” schreibt er in seinem neuen Buch humorvoll, lebensklug und unterhaltsam über seine Erfahrungen mit dem achten Lebensjahrzehnt. Wir haben mit ihm in einem längeren Telefongespräch über die Versäumnisse seiner Generation und das Suhlen im Augenblick gesprochen.
Herr Kuntze, die aktuelle Krise ausgelöst durch das Coronavirus verändert unser Leben und unsere Gesellschaft. Ist die Verdrängung in schwierigen Zeiten ein guter Ratgeber?
Ich bin seit Langem ein großer Freund der Verdrängung. Als ich studiert habe, hatte die Verdrängung aufgrund der nur flüchtigen Freud-Lektüre eine unglaublich schlechte Presse. Wer verdrängte, galt damals schon fast als straffällig. In der Zwischenzeit bin ich reifer geworden und habe Siegmund Freud und andere genauer gelesen und denke, dass die Verdrängung eine der kostbarsten psychischen Mechanismen ist. Ohne Verdrängung ist alles nichts.
In ihrem neuen Buch “Alt sein wie ein Gentleman” beschreiben Sie, was Ihrer Meinung nach hilft gegen die Widrigkeiten des Alters: Hoffnung, Vergessen, Verdrängung, Ablenkung und Gottvertrauen.
Wenn man denn noch welches hat, das ist nun leider abhanden gekommen.
Bedauern Sie das Herr Kuntze?
Wenn man sich diese christliche Geschichte anschaut, von einem Menschen, der damals wie viele andere ans Kreuz geschlagen wurde und die natürlich von allerhöchster Unwahrscheinlichkeit ist, was viele religiöse Entwürfe an sich haben. Aber das ausgerechnet diese Geschichte diese unendliche Kraft entwickelt hat, hat was mit dem Bedürfnis der Menschen nach den mit dem Christentum verbundenen Merkmalen zu tun. Und das ist uns leider abhandengekommen. Wir werden uns wohl nach Ersatz umschauen müssen, denn ohne wird es auf Dauer nicht gehen können.
Das wird in Zeiten wie jetzt deutlich, in der Unsicherheit und Angst zum täglichen Begleiter werden.
Die Chance, in absehbarer Zeit zu sterben, ist größer geworden. Das ist ein unangenehmer Gedanke. Man kann anfangen, darüber nachzudenken, wenn es so sein soll, dann lass mich meine Sachen in Ordnung bringen. Habe ich aber auch keine Lust zu. Da lebe ich lieber im Augenblick, solange es noch möglich ist. Und freue mich darüber, dass draußen schönes Wetter ist und meine Balkonpflanzen in Ordnung sind. Ich habe noch nicht die Phase erreicht, wo ich sage, es ist an der Zeit, meine Hinterlassenschaft zu klären.
Wann kam bei Ihnen der Tag, dass Sie sich eingestanden haben ‘Ich bin alt’?
Das ist noch gar nicht so lange her. Es war auch kein einmaliges Erlebnis, sondern man merkt, dass man schwächer wird. Man geht in den Park zum Joggen und plötzlich wird man ständig überholt. Man ist erschöpfter, man geht langsamer die Treppen hoch. Man verlegt ständig Dinge, die Muskeln werden schwächer, die Glieder werden steifer, es ist eine ganze Armada von kleinen Schwächen, die auf einen zukommt.
Sie schreiben, im Alter radikalisiert sich das Leben. Was meinen Sie damit?
Wenn man gesund und jung ist, spürt man den Leib im normalen Leben nicht. Er tut seine Pflicht, trägt mich die Treppe hoch und runter und beim Joggen durch den Park. Im Alter radikalisiert er sich insofern, dass er sich oft bemerkbar macht in Form von Schwächen. Aus dem gemächlichen und spurlosen vor sich hin existieren wird plötzlich eine Anstrengung.
Ihr erstes Buch „Altern wie ein Gentleman“ schreiben Sie über Ihr Leben in der siebten Dekade. Da waren Sie noch sehr aktiv.
Ja, da habe ich Inlineskaten gemacht und auf Surfbrettern gestanden. Ich war als Empfänger einer Rente, mit der es sich gut auskommen lässt und der unendlichen Menge an Zeit, gut dabei. In der achten Dekade hörte alles plötzlich auf. Alles, was ich oben beschrieben habe und Tennis spielen oder Skifahren. Alles mäßig, weil ich unsportlich bin, aber mit großer Begeisterung. Das musste ich alles aufgeben. Nur noch Spazierengehen und gelegentlich – aber auch nur, wenn der Park bei mir um die Ecke nicht zu voll ist – mit kleinen Trippelschritten joggen.
Sie haben eine erfolgreiche journalistische Karriere hingelegt und sind Sie in der ganzen Welt herumgekommen. Spielt das für Sie jetzt noch eine Rolle?
Das habe ich hinter mir gelassen. Wissen Sie, ich sitze nicht im Lehnstuhl und träume von vergangenen Heldentaten. Wenn ich alte Kollegen treffe oder sogar jemand Jüngeren finde, der bereit ist, zuzuhören, dann erzähle ich, wie toll alles früher war und dann kommen die Erinnerungen als Gesprächsgegenstand wieder auf. Aber man lebt nicht in Erinnerungen. Das würde das Leben im Augenblick ziemlich unerträglich machen. Weil die Differenz zwischen dem, was man mal gemacht hat und konnte und dem, was man im Augenblick noch machen kann und darf immer größer und spürbarer wird. Davon würde ich abraten.
Zurückgeschaut haben Sie aber in Ihrem Buch „Die schamlose Generation“. Darin rechnen Sie mit Ihrer eigenen Generation ab. Was hat sie falsch gemacht?
Das ist eine Enttäuschung, nämlich meine Generation, mich eingeschlossen. Wir sind mit großem Anspruch und unbescheiden und sehr laut auf die Bühne getreten. Mit Demonstrationen und großen Anschuldigungen und haben Schuldgefühle generiert bei unseren Eltern. Und dann hat uns die Weltgeschichte eine Reihe komplizierter Aufgaben zugeteilt. Und eine davon ist der Klimawandel, der voll unser Thema gewesen wäre. Das Bizarre ist ja, dass man 1992 auf dem großen UN-Klimagipfel in Rio de Janeiro genau wusste, was man hätte machen müssen, nämlich den CO2-Ausstoß zu reduzieren, um ihn aufzuhalten. Stattdessen haben wir noch mehr rausgepustet.
Was noch?
Oder anstatt beim Italiener um die Ecke Spaghetti zu essen und Rotwein zu trinken, hätten wir uns um die Integration der Gastarbeiter kümmern müssen. Wir haben eine riesige Staatsverschuldung aufgehäuft, wir haben zu wenige Kinder in die Welt gesetzt. Es gab ja die Wirtschaftstheorie der sozialen Marktwirtschaft, die wir achtlos zur Seite gelegt und den Kommunismus gefordert haben. Ich komme aus anständigem Haus, würde meine Mutter sagen. Ich war eine Zeit lang Kommunist. Ich muss nicht alle Tassen im Schrank gehabt haben. Darüber denke ich heute manchmal nach, wie ich dazu gekommen bin. Das war keine rationale und intellektuell fundierte Entscheidung, sondern einfacher Herdentrieb. Das ist eine ganze Menge, was wir nicht in die Tat umgesetzt haben. Deshalb bin ich mit meiner Generation ziemlich unzufrieden. Aber jetzt ist es zu spät und wir sind gut beraten, uns nicht mehr allzu intensiv einzumischen, weil es nicht mehr unsere Zukunft ist, sondern die unserer Kinder und Enkel.
Ihre Kritik ist damals nicht gut angekommen.
Überhaupt nicht. Ich habe Lesungen gemacht und da gab es immer Diskussionen und Rabatz. Mir wurde vorgeworfen, von der ganzen Generation zu reden, sei eine unzulässige Verallgemeinerung. Es hat keine ruhige Diskussion gegeben, sondern nur Abwehr. Der Einzige, der das gut fand, war Volker Kauder von der CDU, der mich anrief und sagte „Herr Kuntze, da haben Sie wohl recht“.
Ihr aktuelles Buch widmet sich auch einem unbeliebten Thema. Das Alter wird in unserer Gesellschaft überwiegend verdrängt. Sie zitieren in Ihrem Buch einige Philosophen wie Schopenhauer, der gesagt hat, er wäre schon zufrieden, wenn ihm Gesundheit, Heiterkeit und Gemütsruhe gelängen. Wie stehen Sie dazu?
Das ist eine ganze Menge. Die Gemütsruhe, dass Sie sich nicht mehr aufregen, dass Sie nicht mehr konkurrieren, dass Sie nicht mehr fleißig, präzise und pünktlich sein wollen. Das alles hat man im Alter abgebaut. Gesundheit ist ohnehin wichtig und Heiterkeit in Richtung Freude. Sich an den kleinen Dingen freuen. Heiter ist, wenn man sich an den Vöglein draußen erfreuen kann oder dass die Rosen gerade blühen. Das ist die Triade dessen, was man erreichen will.
Was haben Sie erreicht?
Was die Gesundheit betrifft, bin ich ein totaler Versager. Ich habe schon mehrfach am Rande des Abgrunds gestanden.
2011 wurde bei Ihnen ein gutartiger Hirntumor diagnostiziert.
Dazu kamen noch eine Herzklappenoperation und noch viele andere Dinge mehr. Ich glaube, was mir gelungen ist, all die Dinge, die einen bedrängen wie Karriere, Konkurrenz und Stress, dass ich dass gut zur Seite gelegt habe. Und dann hat mir der Herrgott ein leicht naives und heiteres Gemüt geschenkt. Ich neige weder zum Tiefsinn noch zur Depression als Dauerzustand. Insofern bin ich, was Gemütsruhe und Heiterkeit betrifft, ganz gut beschenkt worden.
Mit den Dingen, die nicht so gut gelungen sind im Leben nicht zu hadern, ist sicher eine Herausforderung.
Was die Gesundheit betrifft, bin ich manchmal wütend. Dann gehe ich auf die Straße und begegne jemanden in meinem Alter, der gesund aussieht und dann denke, warum bist du gesund und ich nicht? Dann habe ich einen Schuss von Bitterkeit, aber das vergeht auch wieder.
Sie schreiben, Abschied haben wir nicht gelernt. Warum?
Wir sind immer gerne angekommen, sind überall in der Weltgeschichte umhergefahren und haben von vielen Dingen genascht, von politischen oder religiösen Ideen wie den Kommunismus oder den Buddhismus. Wir waren wie kleine Kolibris. Abschied nehmen ist ein tieferes Gefühl und sich vergegenwärtigen, dass wir im weiteren Leben keine Rolle spielen werden, was mit Engagement und einer tieferen Verbindlichkeit einhergeht, wenn man ehrlich ist.
Ehrlich zu sich selbst zu sein, verdient Respekt.
Schonungslose Ehrlichkeit gegenüber sich selbst ist auch eine gefährliche Sache. Man würde sich eingestehen, mit seinen Begabungen nichts angefangen zu haben. Man kann zu Erkenntnissen kommen, die im Alter bedrängend und belastend sind. Weil man nichts mehr ändern kann und niemanden dafür verantwortlich machen kann. Deswegen wäre ich immer vorsichtig mit Schonungslosigkeit gegenüber der eigenen Vergangenheit.
Sich selbst gegenüber wohlwollend und verzeihend sein ist also wichtig?
Wohlwollend und vorsichtig und wenn man in dunklen Ecken rumstöbert, das lieber sein zu lassen. Das hat da 30 Jahre gut rumgelegen, da muss ich jetzt nicht aufräumen.
Und sich lieber daran erfreuen, dass Frühling ist.
Der Augenblick hat ja nach allgemeinem Dafürhalten keinen so guten Ruf, weil er flüchtig und kein guter Begleiter ist, wenn man hätte Karriere machen wollen. In jüngeren Jahren. Aber jetzt, wo wir älter sind, können wir uns im Augenblick suhlen. Bei all den Dingen, die ich über das Alter gelernt habe, neben den negativen, ist, dass das Leben im Augenblick wirklich herrlich ist. Unsinn reden, ein Stück Kuchen essen, einen kleinen Spaziergang machen, einfach wunderbar!
Vielen Dank für das Gespräch!
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